Beitrag TV-Hauszeitung zu “50 Jahre Schweizer TV” (2003)

Von der Wirkung des Mondes auf die Erdenwelt…

Als Goldene TV-Zeit bezeichnet man in den USA eine Aera, wo das Fernsehen noch neu ist, erstmals praktisch jedermann angeschlossen ist, erste Strassenfeger entstanden sind und noch nicht zu viele Kanäle das Publikum überfordern. In der Schweiz erfüllte die Zeit der Apollo-Mondflüge (Nr. 7 bis 17 von 1968-1972) exakt diese Definition, wobei hierbei auch noch das Jahrtausendereignis dazukam, den Lebensraum des Menschen auf einen weiteren Himmelskörper zu erweitern. Bei uns fiel diese Epoche zugleich mit der soeben erfolgten Einführung des Farbfernsehens und der höchsten Hochkonjunktur zusammen, welche die Menschen wohl jemals erlebt haben. Alle diese Faktoren führten dazu, dass die damals fernsehende Generation die Zeit der Mondlandungen allein schon emotional nie mehr vergessen wird. In diesem Sinne hinterliess das Fernsehereignis einen noch tieferen Eindruck als in den USA selber, wo die “Goldene TV-Aera” mindestens ein Jahrzehnt früher stattfand. Dort hatten ausserdem die Vorbereitungsflüge der Programme “Mercury” und “Gemini” früher als bei uns gezeigt, dass viele Zuschauer der Werbung nicht unbedingt nützen, wenn sie bei weltbewegenden TV-Ereignissen partout keine Unterbrechungen dulden.

Ideal im Falle der Schweiz war auch der Umstand, dass mit Fernsehdirektor Guido Frei und Abteilungsleiter Eduard Stäuble damals Leute entscheidend waren, welche die historische Bedeutung des Geschehens im All sehr wohl erfassten. Ein grosser Vorteil für mich war die Lehrzeit während mehreren Vorbereitungsflügen mit den Mondraumschiffen, bei denen ich mit Guido Capecchi und Ulrich Doerfel wichtige Erfahrungen sammeln und mit den Ansprüchen des Publikums Schritt halten konnte. Schliesslich standen dem Team ab Apollo 10 der erfahrene Moderator Charles Raedersdorf und ab Apollo 12 der unermüdlich begeisterungsfähige Regisseur Walter Klapper zur Verfügung, welche das geistige Potenzial eines “Himmelsmechanikers von der ETH” zu nutzen verstanden. Raedersdorf hatte bereits viel mehr TV-Erfahrung und ausserdem flugtechnische Kenntnisse – eine ideale Ergänzung zu meinen Einblicken in die USA und deren Weltraumprogramm sowie Hochschulkontakten und privaten Initiativen, wozu auch der frühe Einsatz von Computern gehörte.

Im Laufe der Jahre wurden wohl Hunderte von Anekdoten an mich herangetragen, wie unsere Zuschauer diese Nacht erlebt hatten. Da gab es alles von dramatischen Berichten, wie Leute mit gebrochenen Beinen noch vor dem Gipsen die Landung verfolgten, weil Arzt und Patient den historischen Moment nicht verpassen wollten, bis zu einem Junggesellen, der gleich zwei wildfremde US-Touristinnen zum Fernsehabend eingeladen hatte und gerade deshalb beide Ereignisse nie mehr vergessen wird. Leider habe ich nie Notizen gemacht – es hätte ein dickes und süffig lesbares Buch ergeben! Später vernahm ich, dass noch viel mehr Geschichten dieser Art an die Astronauten selber herangetragen wurden. Aldrin bemerkte einmal in einem solchen Moment zu Armstrong “Schau mal her, was wir da unten alles verpasst haben, während wir auf dem Mond waren!”

Es gab eigentlich nur zwei Faktoren, welche die uneingeschränkte Begeisterung und den Erfolg dieser Sendungen bremsen konnten. Zum einen war es das, was ich damals die “Ignoranz der verblüfften Pessimisten” nannte, also die Reaktion derer, welche zuvor die Unmöglichkeit der Mondlandung nie bezweifelt hatten. Es war die Internationale der Technophobie, welche vom Dampfmotor bis zur Kernkraft jeden Fortschritt begleitet hat. Für sie war der Triumph ein schwerer Schlag, der sie von einem Tag auf den anderen in die Gestrigkeit verwies. Zum Glück kam damals noch niemand auf die Idee, die Echtheit der Mondlandungen in Zweifel zu ziehen. Jedermann war noch logisch, dass die Sowjetunion jeden nachweisbaren Schwindel sofort ausgeschlachtet hätte. Dreissig Jahre später war dies leider den Schwächsten unter uns nicht mehr klar, und TV-Sendungen aus solchen Kreisen verunsicherten plötzlich auch scheinbar normale Bürger.

Der zweite Umstand, der Erfolgssendungen wie “Apollo” fortan verhinderte, hing damit zusammen, dass die Siegernation nicht den politischen Vorgaben entsprechend war. Eben noch waren Führungsqualitäten im All von Sputnik bis Gagarin selbst von Unkundigen gelobt worden, und nun das Gegenteil! Dabei hatte Russland sein Mondprogramm mit den Sond- und Luna-Flügen noch während Apollo propagandistisch ausgespielt und erst geleugnet, als die Niederlage beim Rennen zum Mond offensichtlich war. “Raumstationen” wurden zur ultima ratio deklariert, weil Russland darin einen militärischen Vorteil erkannte. Dieser Irrtum sollte die bemannte Raumfahrt beider Weltraumnationen während dem folgenden Dritteljahrhundert in die Stagnation führen. “Vor 30 Jahren fragten uns alle, warum wir zum Mond fliegen. Heute fragt man uns, warum wir nicht mehr gehen” fasste der letzte Mann auf dem Mond, Eugene Cernan, seine Erfahrungen zusammen.

Kolumne im St. Galler Tagblatt 18. Oktober 2003

«Konkurrenz schadet nur selten»
Kolumne im St.Galler Tagblatt am 18.10.2003

“Die Erde ist die Wiege der Menschheit, aber der Mensch kann nicht ewig in der Wiege bleiben”, sagte der russische Weltraumtheoretiker Ziolkowski schon vor 100 Jahren. Wie viel deutlicher würde er wohl heute, nachdem der Mond betreten, das Sonnensystem weit über Pluto hinaus von Raumsonden durchmessen und die ersten Planeten um ferne Sonnen der Beobachtung zugänglich geworden sind? Vor wenigen Tagen ist nun die dritte Weltraumnation in den Club derjenigen vorgestossen, welche Menschen mit eigenen Raketen in einen Orbit befördern können. Aus mehreren Gründen ist dies ein historischer Moment. Immer dann, wenn eine Diktatur einen Schritt ins All macht, dann stösst die Raumfahrt sogar bei Unkundigen plötzlich auf grosses Verständnis, während selbst bei bedeutenden Erfolgen in einer Demokratie gleich alles kritisch in Frage gestellt wird. Offenbar ein Naturgesetz seit 45 Jahren, als die Sowjetunion mit Sputnik Bewunderung eingeheimst hat, und erst recht seit 34 Jahren, als nach dem Erfolg der Amerikaner auf dem Mond plötzlich nichts mehr gut sein sollte an der Raumfahrt. Freude herrscht nun in Ost und West über die Bestätigung durch die Chinesen, dass am extraterrestrischen Imperativ doch etwas sein muss! Wenn ein riesiges, aber armes, Land mit 700 Dollar durchschnittlichem Jahreseinkommen inzwischen immerhin 2.3 Mia Dollar jährlich aufwendet, um seinem Ziel von “Raumstationen und einer chinesischen Basis auf dem Mond” näher zu kommen, dann müsste sogar die Internationale der Technophobie aufhorchen.

Sachkundige Befürworter sagten es immer wieder: es gibt nicht einen Grund, um Raumforschung zu betreiben, sondern gleich eine ganze Reihe! Der Schreibende bemüht sich seit Jahrzehnten, diese Erkenntnis verständlich zu machen. Nun kommt also Schützenhilfe von der bevölkerungsreichsten Nation der Erde, der nicht verborgen bleiben konnte, dass unsere Zukunft kaum auf der Erde allein liegt. Je mehr sich die Vermutung verstärkt, dass uns im riesigen Universum weitherum niemand konkurrenziert, wird der Gedanke Ziolkowskis zur Einladung, diesen offenbar uns ganz allein gehörenden Lebensraum auch zu nutzen! Die Chinesen nahmen sich die Freiheit, dies ganz ungeniert auszudrücken. Sie sind ja dafür bekannt, dass sie in langen Zeiträumen denken, und wenn sie auch nur 200 Jahre in die Zukunft extrapolieren, dann haben sie ihre Phantasie mit einem teilweise besiedelten Planetensystem nicht einmal überborden lassen. Auch amerikanische Planer denken seit langem an die Besiedlung von Mars, die Industrialisierung des Mondes zwecks Schonung der Erde und den Austausch von Rohstoffen und Informationen zwischen Planeten und Planetoiden. Sie hüten sich aber, allzu offen darüber zu sprechen – aus Rücksicht auf den Steuerzahler und eine verbreitete Technikfeindlichkeit. Die Chinesen tun sich da viel leichter, weil ihre Planung diktatorisch durchgesetzt werden kann und ihre Intelligenzia als Nutzniesser solcher Entwicklungen die Begeisterung mit der Führung teilt.

Das chinesische Militär als Dachorganisation ihrer Raumfahrtagentur hat aber noch weitere Gründe, um den Fuss ins All zu setzen. Sie haben viel aufmerksamer als Andere beobachtet, wie die USA den “Schurkenstaat” Afghanistan in wenigen Wochen fast verlustlos militärisch neutralisiert haben, wo sich die scheinbar allmächtigen Sowjets selbst als Grenzland über ein Jahrzehnt hinweg eine blutige Nase mit Zehntausenden von Toten geholt hatten. Ähnliche Schlüsse zogen sie aus dem raschen Ende der Kampfhandlungen bei der Befreiung von Kuwait oder der Rettung tödlich bedrohter Völker in Jugoslawien – oder der Elimination des Schreckensherrschers im Irak. In allen Fällen täuschten sich die Militärexperten der betreffenden Regimes ebenso wie in den Zuschauerländern, ebenso der Schweiz: statt einer “vernichtenden Niederlage der Amerikaner” blieben erwartungsgemäss in allen Fällen nur Terroristennester übrig, welche ja der erklärte Auslöser für die Präventivschläge waren. Die chinesischen Militärs haben schneller als die übrige Welt verstanden, was den USA diese “magischen Kräfte” verliehen hat: die Augen und das “Nervensystem” ihres Satelliten-Netzes. Sie wissen, dass sich damit sogar das durchgehend militarisierte Nordkorea wie eine Armee von Blinden durch Sehende entwaffnen liesse. Sie fühlen sich wie Stalin, der von 1945 bis 1949 ohne Atomwaffen dastand. Dieser Unterlegenheit wollen sie nun so schnell wie möglich abhelfen. In vier Jahren wird das allerdings nicht gelingen.

Interview zur “Swiss Air Force Competition” 30.8.2003

«Als Kind faszinierten mich die Sterne»
Interview in der Tageszeitung zur “Swiss Air Force Competition” in Emmen
Grösste Flugshow der Schweiz.

Fragen: Anton A. Oetterli

Bruno Stanek, grossen Bekanntheitsgrad haben sie sich erworben, als sie von 1968 bis in die jüngere Zeit am Schweizer Fernsehen über alle wichtigen Weltraumexpeditionen berichteten. Wurde Ihnen das Interesse an der Raumfahrt schon in die Wiege gelegt?

Vielleicht, mein Bruder hat ja auch als Astrophysiker promoviert. Meine Faszination begann schon als Kind mit dem Sternenhimmel und als Vierzehnjähriger mit dem Raumfahrtzeitalter, dann via Mathematik und Himmelsmechanik.

Sie kennen praktisch alle Raumfahrtzentren der USA. Haben Sie nie Lust verspürt, selbst eine Raumfahrt anzutreten?

Ich wählte die umgekehrte Reihenfolge: erst Hals- und Beinbruch und ein Jahr im Spital, dann noch grösseres Raumfahrtinteresse… Spass beiseite – so blieb ich jedenfalls bei meinen geistigen Reisen von Frustration verschont. Es würde mich ehrlich interessieren, welche Antwort Wernher von Braun heute auf Ihre Frage geben würde!

Satelliten in Erdumlaufbahnen bringen einen kommerziellen oder wissenschaftlichen Nutzen? Doch warum soll der Mensch die Oberfläche des Mars erkunden, wenn es doch auf der Erde noch so viele Probleme zu lösen gibt?

Gerade weil der Mensch seit 1957 ins All vorgestossen ist, haben wir plötzlich auch auf der Erde so rasche Fortschritte gemacht, bemerkte schon damals Winston Churchill! Ein zweiter Planet ist ausserdem die beste Lebensversicherung. Mein Raumfahrtlexikon auf DVD enthält ein weltweit einmaliges Stichwort “Nutzen der Raumfahrt”, mit dem sich schon einige Schüler bei Vorträgen eine Sechs geholt haben. Dort steht auch, dass jeder in die Raumfahrt investierte Dollar (oder Euro) das Bruttosozialprodukt des betreffenden Landes um durchschnittlich vier Währungseinheiten vermehrt hat. Die momentane Stagnation bei der bemannten Raumfahrt hat ihren Grund in der Sackgasse, in die Russlands “Raumstations-Fixation” nach dem verlorenen Rennen zum Mond und der Verzicht auf nukleare Antriebe hineingeführt haben. Die NASA hat das Problem erkannt und erste Weichenstellungen getätigt.

Bestimmt haben Sie bei Ihrer Tätigkeit viele interessante Menschen kennen gelernt. Welches war Ihre eindrücklichste Begegnung?

Mit Wernher von Braun, 1971 im Luzerner Verkehrshaus. Er konnte im Sekundenabstand “Kilovoltfragen” und “Millivoltfragen” mit gleichem Sachverstand, Weitblick und gleicher Höflichkeit beantworten, und seine Aussagen hatten immer die längste Halbwertszeit. Natürlich stehe ich auch vielen der rund 80 Astronauten und Kosmonauten, die ich schon persönlich kennenlernen durfte, mit grosser Bewunderung gegenüber. Ihr Beruf hat äusserst vielseitige und abgerundete Persönlichkeiten geschaffen – man erlebt das z.B. auch bei jeder Begegnung mit Claude Nicollier.

Das Weltall ist unermesslich gross. Glauben Sie, dass irgendwo Leben anzutreffen ist?

Glauben schon, aber je länger ich mich mit der Frage auseinandersetze und je mehr Fakten auf dem Tisch liegen, desto mehr neige ich zum “Verdacht”, dass wir trotz dem immensen, aber vielerorts lebensfeindlichen Universum und einer Kaskade weiterer Gründe durchaus auch allein sein könnten. Das wäre genau so spannend: alles gehörte dann uns! Ihre Frage ist offen, aber in den nächsten Jahrzehnten werden wir einer Antwort sehr viel näher kommen. Schon heute enthält mein Planetenlexikon auf DVD viele Stichwörter zu genau diesem Thema.

Bruno Stanek

wurde 1943 in Rorschach geboren. Nach dem Mathematikstudium an der ETH arbeitete er als Assistent am Institut für Angewandte Mathematik und promovierte 1971 zum Dr. sc. math. Schon früh veröffentlichte er Bücher zur Raumfahrt, hielt unzählige Vorträge und dozierte zwei Jahre an der HTL Brugg über Mathematik, Physik und EDV. Ab 1980 wurde er definitiv selbständig und produzierte Software für die Ärzteadministration und pflegte weiterhin Datenbanken und Simulatoren zur Unterstützung der publizistischen Tätigkeit auf dem Gebiet von Astronomie und Raumfahrt auf. Für ihn das Fundament seiner heutigen multimedialen Publikationen. Seit 1997 gibt er im eigenen Verlag auf CD/DVD-ROM ein Raumfahrt- und ein Planetenlexikon heraus. Viele weitere Angaben dazu sind im Internet unter www.Stanek.ch zu finden.

Kolumne im St. Galler Tagblatt 30. August 2003

«Irdische Erfahrungen aus Unfällen der NASA»
Kolumne im St.Galler Tagblatt am 30.8.2003

Kein Zweifel: Shuttle-Unfälle können nur der NASA passieren. Niemand sonst betreibt einen bemannten Raumtransporter. Russland und Europa hätten gerne einen gebaut und mussten es aufgeben. Die übrige Welt hat also mit Shuttles so wenig Probleme wie ein Analphabet mit der Rechtschreibereform. Somit darf ungeniert kritisiert werden.

Der US-Shuttle wurde 1972-1981 entwickelt, und startete 114mal. Beim 25. Mal exlodierte Challenger wegen undichten Boostern, und beim 114. Mal passierte es bei der feurigen Landung des Raketenflugzeuges, als die zweite von fünf gebauten Flugeinheiten, die Columbia, verloren ging. Beide Male starben sieben Astronauten. Unser Schweizer Astronaut Claude Nicollier hatte des exklusive Privileg, als einziger Nicht-Amerikaner viermal mit dem Shuttle zu fliegen. Er kannte die Risiken, fühlte sich aber immer sicher und verteidigte wiederholt die technischen Genialität des einzigen wiederverwendbaren Raumtransporters.

Ingenieure preisen noch heute die geniale anderthalbstufige Lösung. Diese wurde gewählt, weil zwei schwerere, voll wiederverwendbare, Stufen bei der Entwicklung enorme Kosten verursacht hätten. An einen einstufigen Shuttle durfte man damals schon gar nicht denken. Nach über 30 Jahren gilt beides immer noch: zweistufig würde sich nur bei sehr hoher Flugfrequenz lohnen, wäre zu teuer und nicht minder riskant. Einstufigkeit hat man nach einem lehrreichen Versuch vor einigen Jahren aufgegeben, weil die Physik immer noch die gleiche ist wie 1972.

Im Verlaufe der Raumfahrtgeschichte habe ich immer neue Beispiele zum Prinzip “Sparer leben gefährlich” gefunden. Auch die Wiederverwendbarkeit war aus Spargründen gefordert worden. Jede Komponente altert aber im gleichen Mass wie die Amortisation der Kosten – und die Zuverlässigkeit nimmt stetig ab. Gleichzeitig wird die Innovation verhindert, weil der technologische Stand eines Systems eingefroren wird. Bei Wegwerfraketen gilt das nicht. So war die gut gemeinte Sparlösung zu schlechter letzt sogar teurer geworden, weil billigere und modernere Bauteile nicht einsetzbar waren, sondern teure Kapazitäten zum Unterhalt veralteter Systeme bewahrt werden mussten.

In den letzten Jahren war immer mehr ein Management mit dem Betrieb der Raumtransporter beauftragt, das bei der seinerzeitigen Entwicklung des Systems gar nicht mehr dabei war. Die Kluft zwischen sattelfesten Ingenieuren und den zur Einhaltung des Budgets verpflichteten Flugkontrolleuren wurde immer tiefer. Insider formulierten es so: Man sollte von kritischen Ingenieuren nicht verlangen, dass sie den Beweis erbringen, ein System sei unsicher zum fliegen. Es sollte vielmehr an den Managern der Organisation mit ihrem de-facto Vetorecht liegen, den Beweis für die Flugsicherheit aller Systeme zu liefern! Bei der NASA war man sich dessen voll bewusst, und hatte diese Erkenntnis auch schon beim Challenger-Unfall bestätigt bekommen, aber niemand sah eine Möglichkeit, das immer durchzusetzen.

Diesmal schlug der Fehlerteufel in der bekanntermassen heiklen Phase des Wiedereintrittes zu, wo ein Orbiter mehr Bewegungsenergie vernichten muss, als zur Verdampfung desselben nötig wäre! Nicht etwa mit abdampfenden Einweg-Hitzeschilden wie bei früheren Kapseln – nein, mit wiederverwendbaren, und möglichst nicht einmal angesengten! Was einst unmöglich galt, war für Unkundige schon selbstverständlich geworden. Die Columbia hatte das schliesslich 27mal überlebt, ohne dass z.B. die kritische Kachel an der Flügelkante von unten her inspiziert oder gar ersetzt wurde! Beim 28. Start traf nun ein abgerissenes Isolations-Stück des zentralen Tankes eine Schwachstelle, und bei der Landung genügte ein Spalt, um schliesslich den ganzen linken Flügel abzuschmelzen, während alle übrigen Systeme den Orbiter bis fast zuletzt bewundernswert auf Kurs hielten!

Ein Rettungsversuch wäre problematischer gewesen als die Landung auf Risiko. Die Flucht in die Raumstation ISS war so unmöglich wie ein abholen der Crew von Shuttle zu Shuttle ohne genügend Raumanzüge und Training. Die Atlantis war nicht startbereit und allenfalls genau so gefährdet, überladen mit einer Zehnermannschaft. Eine fast sicher misslungene Rettungsaktion wäre den Kritikern Amerikas noch willkommener gewesen.

Fazit: Die ersten paar Starts nach der Wiederaufnahme von Flügen (frühestens ab April 2004) werden die sichersten sein, denn so lange werden die Beamten den Ingenieuren die Verantwortung überlassen. Good luck Atlantis!

Samstags-Interview im Blick vom 2. August 2003

Interview mit Helmut Ograjenschek

Die Raumfahrt steckt nach der Columbia-Katastrophe in der Krise – glauben Sie, dass sie eines Tages wieder zu einem Höhenflug ähnlich wie bei der Mondlandung durchstarten kann?

Was Sie eine Krise nennen, ist ein Versagen der zuerst bei der Sicherheit sparenden Bürokratie. Diese brauchte viele Jahre, um beim ingenieurmässig einmalig raffiniert konzipierten Shuttle-System erneut einen Unfall herauszufordern. In der Zukunft könnten es meiner Erfahrung nach faszinierende Entdeckungen auf Mond, Mars oder einem Trabanten bei Jupiter oder Saturn sein, welche bei Wissenschaftlern und dem Publikum durchaus wieder eine Euphorie wie zur Zeit der Mondflüge erzeugen. Man braucht dabei nicht einmal an die Entdeckung von Leben zu denken.

Es gibt skeptische Stimmen, die sagen, die Raumfahrt bringe die Menschheit nicht weiter – was ist Ihre Meinung?

Dies ist so falsch wie eh und je, denn die Raumfahrt hat direkt oekonomisch schon bisher ungleich mehr gebracht als sie gekostet hat: Satellitenkommunikation, weltweite Navigation, oekologische, meteorologische und auch der militärischen Sicherheit dienende Aufklärungsbilder aus dem All – mitsamt Zulieferern weltweit bereits eine 100-Milliarden-Dollar-Industrie pro Jahr! Abgesehen vom langfristigen Nutzen: Vermeidung von zivilisationsbedrohenden Planetoidenabstürzen, Verlagerung unerwünschter Industrien auf den Mond, Gewinnung ausserirdischer Energie und Rohstoffe sowie allgemeine Horizonterweiterung als Gegenpol zur wachsenden irdischen “Platzangst”.

Hat die Raumfahrt nicht etwas von ihrer ursprünglichen Faszination verloren?

Es mag sein, dass die endlose Wiederholung falscher und längst beantworteter Fragen diesen Eindruck da und dort hat aufkommen lassen, aber in einem meiner Vortragssäle würden Sie nichts davon spüren: allein die laufende Marsforschung begeistert die Zuhörer wie vor 30 Jahren!

Europa und Russland laufen derzeit in der Raumfahrt der Nasa etwas den Rang ab. Glauben Sie, dass die USA hier bald wieder die Führungsrolle übernehmen werden?

Wie bitte? Russlands Weltraumprogramm wäre ohne westliche Unterstützung schon gar nicht mehr da. Zum Glück ist es noch da! Europa hat zwar ein enormes Potenzial, aber eine Analyse laufender Projekte lässt Sie schnell erkennen, dass die USA mit dem einzigen Shuttle und als de facto Alleinerforscher des Sonnensystems von Merkur bis zu Neptun die Führungsrolle gar nie aufgegeben haben. Seien wir realistisch – Euro-Wunschdenken hat uns schon öfters zu Verlierern gemacht.

Früher klebte man förmlich am Bildschirm, wenn kühne Amerikaner oder Russen eine Rakete starteten – heute nimmt die Öffentlichkeit kaum noch Notiz davon. Was würde das Interesse der Menschen wieder wecken?

Erfahrungsgemäss sind es die gleichen Leute, welche unbemannte Raumfahrt propagieren, die hinterher sagen, es sei nicht mehr so spannend, sobald es keine bemannten Flüge mehr gibt! Was richtig ist: die von den Russen nach dem verlorenen Rennen zum Mond propagierten “Raumplattformen” haben mit Mir und ISS in eine Sackgasse geführt, welche erst mit neuen Expeditionen auf echte Welten wie den Mond oder Mars dereinst wieder verlassen wird.

An allen Ecken und Enden wird derzeit gespart, weil es der Wirtschaft schlecht geht – glauben Sie, dass das auch Auswirkungen auf künftige Raumfahrt-Missionen haben wird?

Zumindest bei der NASA bis jetzt noch nicht – ihr Budget ist erstaunlich stabil, während viele Programme gesamthaft billiger geworden sind, weil eine überreife Technik und eine nach neuen Märkten suchende Industrie bereit stehen. Man kann mit den gleichen Mitteln heute mehr machen. Ausserdem macht Arbeitsleistung Grosses möglich, nicht in erster Linie Geld, sonst wäre die Schweiz überall zuvorderst gewesen.

Was hat uns die Raumfahrt bisher gebracht – ausser neue Erkenntnisse über unser Sonnensystem?

Mein Raumfahrtlexikon auf DVD hat ein riesiges Stichwort mit Beispielen zu “Nutzen der Raumfahrt” – wo soll ich also mit einem Satz anfangen? Jeder in die Raumfahrt investierte Dollar oder Euro hat das Bruttosozialprodukt bisher bei jeder Raumfahrtnation um durchschnittlich vier Währungseinheiten vergrössert! Vergleichen Sie das einmal mit Sozialprogrammen oder einer Subventionslandwirtschaft…

Was sind die Vorteile einer bemannten Raumfahrt?

Flexibilität, Genialität bei der Lösung von Problemen unterwegs, grössere Faszination selbst bei allen “Zurückgebliebenen”.

Und wo liegen die Nachteile?

Der höhere Sicherheitsstandard und Grenzen bei der Miniaturisierung erzwingen höhere Kosten.

Wie wichtig ist die Raumfahrt für künftige Generationen?

Langfristige Sicherheit vor Gefahren von ausserhalb und innerhalb der Erde gibt es nur durch die Erweiterung unseres Lebensraumes auf unser ganzes Sonnensystem. Die Saurier hatten diese Möglichkeit noch nicht. Einer meiner Vortragstitel lautete “Ein zweiter Planet ist die beste Lebensversicherung”.

Stichwort Mars: weshalb ist es so wichtig, herauszufinden, ob es auf ihm jemals Wasser oder sogar Leben gab?

Zum Vergleich: Auf dem Mond hat es nur wenig Eis unter den schattigen Kratern an den Polen. Wasserstoff, Kohlenstoff und Stickstoff fehlen fast oder ganz. Auf Mars dagegen oder jedem Himmelskörper, wo sämtliche bei uns wichtigen Elemente vorkommen, kann man eine Zivilisation aufbauen, auch ohne die ganze Atmosphäre umzufunktionieren. Die wenigsten Leute in Las Vegas oder Dubai könnten heute ohne klimatisierte Gebäude vor Ort überleben, und trotzdem preisen alle das dortige Leben! Ursprüngliche Organismen z.B. auf Mars würden uns gar die eigene Existenz völlig neu überdenken lassen.

Der Mars – ist er eine neue Heimat für die Menschheit?

Für einige Millionen durchaus, für viele Milliarden kaum. Immerhin ein guter Anfang für die weitere Ausbreitung der irdischen Evolution.

Was müsste man tun, um ihn bewohnbar zu machen?

Nutzung der dortigen Rohstoffe. Die Wasserstofftechnologie anwenden, ohne die wir auch auf der Erde nicht auskommen werden, wenn Oel und Kohle in ferner, aber absehbarer, Zeit aufgebraucht sind. Häuser und Treibhäuser mit nach innen gekehrten Fassaden bauen, wie bei einigen der schönsten Hotels der Erde.

Wäre der finanzielle Aufwand nicht riesig, um dort ein paar wenigen Menschen das überleben zu garantieren?

Auch die Raumfahrt soll sich von einem bestimmten Punkt an selber finanzieren. Die Auswanderer sollen, ausgehend von einer ohnehin langsam wachsenden Infrastruktur im Planetensystem, für die Besiedlung ihrer Welt selber sorgen. Wie auf der Erde: es waren immer die Einwandererländer, welche hinterher für die Zurückgebliebenen sorgen mussten, nicht umgekehrt!

Was kommt nach dem Mars?

Ausser Mond und Mars gibt es noch ein paar “exotische” Destinationen, wo mit entsprechend grösserem Aufwand theoretische neue Welten geschaffen werden könnten: Saturnmond Titan, wo man möglicherweise im Wärmeanzug, aber ohne Druckanzug sogar frei herumgehen kann, oder dann die Schaffung unzähliger Riesen-Raumstationen aus dem Material von Planetoiden und Kometen. Arbeit für Jahrtausende. Falls es bis dann noch tüchtige und leistungsbereite Generationen gibt wie die Generation der Mondflieger nach dem 2. Weltkrieg, dann könnte man schliesslich mit solchen Riesen-Raumschiffen die ganze Milchstrasse besiedeln. Arbeit für Jahrmillionen. Gleich lang, wie wir gebraucht haben, uns von den übrigen Zweibeinern auf der Erde etwas abzusetzen.

Astronomen gehen heute davon aus, dass dereinst der Pluto die letzte Zuflucht der Menschheit sein wird, weil sich die Sonne zum roten Riesen aufblähen und die sonnennahen Planeten wie Merkur, Venus, Erde und Mars dereinst versengen wird. Glauben Sie das auch?

Nein. Wenn der Mensch in einigen Milliarden Jahren bis zum Erlöschen der Sonne noch keinen besseren Fluchtort als Pluto gefunden hat, dann wird er sowieso längst ausgestorben sein.

Bei aller Mars-Euphorie – wird dabei der Mond nicht ganz vergessen?

Ja, teilenswerte Ansicht. Der Mond ist nur Tage weg, nicht Monate oder gar Jahre. Dies hat man in jüngster Zeit wieder bemerkt, und als Übungsfeld für künftige Aktivitäten ist der Nachbar sehr willkommen. Seine geringe Schwerkraft wäre übrigens sehr reizvoll für die Bewohner dortiger Basen.

Könnte man dort nicht billiger als auf dem Mars eine Station errichten, um Grundlagenforschung zu betreiben?

Noch billiger auf der Erde oder in der Internationalen Raumstation ISS, aber bei der Erschliessung neuer Himmelskörper geht es um viel mehr als nur um Grundlagenforschung.

Würde sich der Mond als Abschussbasis für Raumsonden zu den Planeten eignen?

Nein, so lange Raumschiffe auf der Erde oder im Erdorbit gebaut werden. Wozu erneut in ein Gravitationsloch steigen, um die Startenergie zweimal zu bezahlen? Erst wenn Mond-Rohstoffe (womöglich unter Umgehung des Raketenprinzips) zum Bau von Starteinrichtungen und Raumschiffen nutzbar werden, dann beginnt sich die 21mal geringere Startenergie des Mondes im Vergleich zum Erd-Schwerefeld auszuzahlen.

Wäre es nicht besser, auf die Unsummen verschlingende internationale Raumstation ISS zu verzichten und gleich eine Station auf dem Mond zu bauen?

Hinterher ist man immer gescheiter. Viele Fachleute haben das auch immer gesagt, aber der Zeitgeist verlangte eben “Raumstationen”, weil die Bedeutung des Mondes nach der Gewaltleistung der ersten Landungen dort oben herabgemindert werden sollte.

Frage zum Schluss: würden Sie auch heute noch ins Weltall starten, wenn sie die Gelegenheit dazu hätten?

Mit meiner derzeitigen Fitness, aber dem Komfort der übernächsten Generation von Raumfliegern – warum eigentlich nicht?

Ganzseiten-Interview im Bote der Urschweiz 8. Februar 2003

«Unfall ist eine Häufung von Faktoren»
Interview im Bote der Urschweiz vom 8.2.2003

Der in Arth wohnhafte Weltraumexperte Bruno Stanek nimmt Stellung zum «Columbia»-Unglück

Bruno Stanek ist dem Schweizer Fernsehpublikum als Kommentator der denkwürdigen Apollo-Mondlandungen in bester Erinnerung. Die bemannte Raumfahrt und der Weltraum üben heute noch eine grosse Faszination auf den bald 60-jährigen Wissenschaftler aus. Stanek ist heute freiberuflicher Autor, der seine Arbeiten im Eigenverlag anbietet*.

Mit Bruno Stanek sprach Franz Steinegger

Wie haben Sie vom Columbia-Unfall erfahren?

Ich erhielt einen Anruf vom «Sonntagsblick», nachdem ich mich im Büro auf eine Arbeit konzentrieren wollte, vorher sogar einen Anruf durchgehen liess und ausnahmsweise auch CNN nicht eingeschaltet hatte. Sonst überzeuge ich mich dort vom Gelingen von sicher mehr als 90% der Shuttle-Starts und -Landungen, auch in der Nacht.

Ich habe das Gefühl, auf die Challenger-Katastrophe 1986 wurde emotinaler reagiert als beim Absturz der Columbia. Warum?

Challenger war der erste und ein folgenschwererer Unfall. Im übrigen teile ich Ihre Auffassung nicht unbedingt. Derzeit herrscht ein grosser Bedarf an Nachrichten aller Art zu ungunsten der USA.

113 Shuttle-Flüge fanden seit 1981 statt, zwei endeten in einer Katastrophe. Ist das nicht ein zu hohes Risiko, zumal jeweils sieben Menschen in diesen Maschinen mitfliegen?

Bisher ist etwa jeder 30. Astronaut oder Kosmonaut in Ausübung seiner aus Begeisterung freiwillig gewählten Berufung gestorben. Wer denkt schon daran, dass seit Jahrzehnten etwa jeder 100. Schweizer letztlich an einem vermeidbaren Verkehrsunfall stirbt? Alkohol, Tabak, Drogen oder Extremsport nicht mitgerechnet. Die Meisterung des Fliegens vor exakt 100 Jahren hatte noch viel höhere Opfer gefordert.

Aus wie vielen Teilen besteht ein Space-Shuttle?

Es sind ungefähr 2,5 Millionen Einzelteile. Interessant wird sein, welche der nummerierten 30’000 Hitzeschildkacheln der Columbia man am weitesten westlich auffindet, um der Unfallursache näher zu kommen.

Wurde beim jüngsten Raumfähren-Unglück geschlampt?

Nein, die Leute, die für die beschränkten Mittel heute noch am Programm arbeiten, setzen sich 150prozentig ein und sind stolz auf ihren Dienst am Raumfahrtprogramm. Wer schlampen will, hat sich längst auf dankbarere Branchen abgesetzt.

Spielte Geld oder Erfolgsdruck beim Absturz eine Rolle?

Schon eher. Die NASA konnte ihre Orbiter eben nicht wie die Swissair ihre Jets nach wenigen Jahren Einsatz an rentablere Airlines verkaufen und wieder neue anschaffen, sondern muss mit beschränkten Mitteln ständig Dinge tun, welche andere als unmöglich bezeichnen.

Wollte man die Gefahr einfach nicht wahrhaben? Schon bei der Challenger-Explosion wurde leichtsinnig auf Start entschieden, obwohl in der Nacht zuvor Minustemperaturen herrschten. Jetzt bemerkte man zwar, dass ein Gegenstand beim Start den linken Flügel getroffen hatte, schätzte die Situation aber anscheinend falsch ein.

Von der Schweiz aus – mit ehrlichen Informationen von der NASA – ist das leicht zu behaupten. Tiefe Temperaturen sind für Raketen normalerweise nicht ungewöhnlich. Die Russen starten oft bei minus 40 Grad, kälter als in Florida, und ihre Unfälle werden auch nicht jedes Mal auf Eiszapfen zurück geführt. Bei Challenger waren einzig kleine Gummiringe betroffen, welche im normalerweise warmen Florida erst als so empfindlich erkannt werden mussten. Bei der Columbia, während eines Freifluges (also nicht mit dem sicheren Ziel der Raumstation) und ohne den Greifarm mit TV-Kamera an der Spitze gab es keine Möglichkeit, einen allfälligen Defekt am unteren Hitzeschild vor der Rückkehr zu erkennen. Man musste so oder so binnen Tagen zurück.

Hat das Alter der Raumfähre – die Columbia wurde 1979 gebaut – beim Unfall eine Rolle gespielt?

Das ist nicht unwahrscheinlich. Die NASA hätte Columbia sicher liebend gerne in ein Museum gestellt und durch eine ganz moderne Flugeinheit nach dem neuesten Stand der Technik ersetzt. Man kann eben nicht sparen und Luxus gleichzeitig haben, das gelingt nicht einmal uns Schweizern, trotz jahrelangen Versuchen.

Nehmen wir an, die Nasa-Techniker hätten die Beschädigungen an der Columbia auf der Umlaufbahn entdeckt. Was könnte in einem solchen Fall unternommen werden?

Rettung wäre [] bei einem Zubringerflug zur Raumstation möglich gewesen. Ausser zwei Flügen war das bei allen Missionen der letzten zwei Jahre der Fall. Dort könnte man den Orbiter von allen Seiten inspizieren und bei Entdeckung von Schäden wochenlang warten, bis eine andere Flugeinheint die Mannschaft abholt. Den leeren und beschädigten Orbiter hätte man dann aber fast sicher aufgeben und über einem Ozean abstürzen lassen müssen.

’’Unglück passierte innert Sekunden‘‘

Lassen sich die Unfälle der Challenger und der Columbia vergleichen?

Nein, sie sind ziemlich verschieden. Die Unfälle passierten einmal beim Start, einmal bei der Landung, einmal nach wenig Flugerfahrung (25. Einsatz), einmal nach jahrelangem Betrieb. Bei Challenger hatte man zunächst keine Ahnung über die versteckte Ursache und musste die Trümmer aus rund 300 m Tiefe im Meer auf der Fläche eines Schweizer Kantons über Monate zusammen suchen. Die Trümmer der Columbia lassen sich dagegen in Texas binnen Wochen bergen, man hat drei Vergleichs-Orbiter, viele Beobachtungen vom Boden und natürlich die Telemetriedaten. Nicht zuletzt deshalb vermute ich, dass man rascher wieder fliegen wird.

Kommen noch andere Ursachen als die Beschädigung der Hitzekacheln in Frage? Beispielsweise, dass das Raumschiff zu steil in die Atmosphäre eintrat und dadurch verglühte?

Das hängt damit eng zusammen. Mit beschädigten Hitzekacheln hat der Orbiter weniger Auftrieb, sinkt noch schneller, wird noch heisser und verliert noch mehr Kacheln und Höhe – genau die Kettenreaktion, die eingetreten ist, zumal die Columbia diesmal mit ihrer ganzen rückgeführten Nutzlast von Anfang an etwas schwerer als üblich war. Ohne diese Häufung von Faktoren wäre der Unfall meiner Ansicht nach gar nicht passiert.

Aus den Funksprüchen lässt sich bei den Astronauten bis zum Abbruch des Funkkontaktes keine Panik heraushören. Starben die Astronauten einen schnellen Tod oder mussten sie leiden?

Das fragte ich mich auch. Bis sich der Orbiter fast sicher genau beim Funkabbruch zu überschlagen begann, war die Temperatur und die Gewichts-Belastung im Cockpit normal. Bevor die Astronauten vom eindringenden Feuer der Luftreibung versengt werden konnten, entwich die Luft und sie verloren das Bewusstsein. Vielleicht alles nur eine Sache von Sekunden.

Bemannte Raumfahrt wird trotz dieses Unglücks weiter betrieben. Wann, schätzen Sie, wird der nächste Shuttle in den Weltraum fliegen?

Aus «möglich» und «notwendig» heraus schätze ich bis im Sommer.

Viele stellen sich, insbesondere nach solchen Unfällen wie am letzten Samstag, die Frage, was die bemannte Raumfahrt bringt. Sie ist kostenintensiv und risikoreich. Wie antworten Sie solchen Skeptikern?

Gleich wie die Astronauten: diese Frage ist längst positiv beantwortet. In Russland, in Amerika, Europa, Japan und China. Mein Raumfahrtlexikon hat u.a. ein eigenes Stichwort «Nutzen der Raumfahrt». Alles ist aktenkundig, nur haben wir hier zu wenig Platz.

Sie sind sehr optimistisch, was die Zukunft und den Nutzen der Raumfahrt, auch der bemannten, angeht. Sind Sie nicht zu stark in der euphorischen Aufbruchstimmung der 60er-Jahre verhaftet, als man meinte, bis im Jahr 2000 Menschen auf dem Mars landen?

Damals extrapolierte man von einer leistungsbereiten Generation aus, noch bevor man die Wirtschaft durch kollektive Unproduktivität geschädigt hatte. Wenn leistungsverweigernde Prognosenvollstrecker den Gang der Welt bestimmen, dann bin ich natürlich weniger optimistisch, vor allem, was Europa anbelangt.

’’Mehr Begeisterung ist wünschenswert‘‘

Wären Sie selber gerne Astronaut geworden?

Die Natur hat mich mit weniger risikobereiter Software ausgestattet, aber mit einer riesigen Neugier und Arbeitskraft. Um im Universum zu überleben, muss die Menschheit aus Individuen bestehen, welche sich ergänzen und beide Voraussetzungen erfüllen.

Welche Tätigkeit üben Sie jetzt aus?

Nach Jahrzehnten Arbeit als Mathematiker in der Industrie, an Ingenieurschulen und vor allem bei der freiberuflichen Computerprogrammierung bin ich endlich vom «Freizeitautor» zu meinem eigenen Verleger geworden, der alle Erfahrungen als Programmierer, Trickfilmproduzent, Sachbuchautor, Dozent und Moderator unter einen Hut gebracht hat. Mehr kann man sich nicht wünschen, ausser vielleicht, dass die Mitmenschen noch so begeisterungsfähig wären wie in den Sechzigerjahren. Gerne lade ich Sie zu etwas Faszination ein, bei einem Vortrag oder auf meinen multimedialen DVD-Lexika.*

• www.Stanek.ch

In Kasten

«Astronauten sind keine Psycho»

Die Weltraumfahrer sind so normal wie sympatisch

ste. Sie vertreten die These, dass die Raumfahrt dereinst vielleicht das Überleben der Menschheit sichert? Wie meinen Sie das?

Wenn auch nur ein einziger Grossmeteorit abgelenkt werden kann, haben sich alle Aufwendungen der Raumfahrt gelohnt, zumal alle Raumfahrtbudgets der Erde nur einen Bruchteil der Drogenindustrie ausmachen. Man weiss ganz sicher, dass das geht – eine Mondlandung ist schwieriger. Seit der Entstehung der Erde sind Dutzende von solchen Kleinplaneten nieder gegangen, von denen jeder unsere heutige Zivilisation in die Steinzeit zurück befördern oder erneut alle höheren Lebewesen vernichten würde. Es gäbe auch harmlosere Argumente: vielleicht braucht der Mensch grosse Herausforderungen, sonst geht es ihm wie den Alten Römern. Oder der Schweiz…

Viele glauben auch, dass wir dank Raumschiffen andere Himmelskörper längerfristig besiedeln können. Ist diese Vorstellung nicht absurd?

Ein zweiter Planet ist die beste Lebensversicherung. Mars ist eine solche Welt, von der Flugzeit nicht weiter entfernt wie die Südsee oder Alaska vor 300 Jahren. Noch vor 40 Jahren haben viele Schweizer die Mondlandung gleichsam als unmöglich bezeichnet, und dann ignoriert, als es so weit war. Es gibt weiter blickende Pioniere.

Was wären die Voraussetzungen dafür?

In meinen Lexika brauchen Sie mindestens eine Woche, um sich in Text, Bild, Ton und Video darüber zu informieren – der Weg zum Wissen ist lang und beschwerlich. Nur der Weg zum Glauben ist kurz und leicht.

Wie soll das bewerstelligt werden, angesichts des gewaltig grossen Energieaufwandes, der dafür notwendig wäre?

Raumschiffe mit neuen Antrieben, die die NASA in diesen Jahren entwickelt oder schon hat, werden nicht wesentlich grösser als die Mondschiffe und kleiner als die Raumstation ISS sein. Es ist derzeit ein beliebtes Thema in meinen Vorträgen.

Ist der menschliche Körper überhaupt solchen Herausforderungen gewachsen? Der nächste Stern ist über vier Lichtjahre von unserer Sonne entfernt. Kosmonauten können aber schon nach wenigen Monaten im Weltraum nicht mehr selber aus dem Raumschiff steigen.

Wir sprechen hier von unserem Lebensraum, dem Planetensystem. Nachbarsterne überlassen wir künftigen Generationen. Übrigens: die US-Astronautin Shannon Lucid ist nach 6 Monaten in der Mir zu Fuss die Treppe des Shuttle hinunter gestiegen.

Hinzu kommt, dass die menschliche Psyche wohl kaum in der Lage ist, solche Herausforderungen zu bewältigen.

Astronauten sind eben keine technophoben «Psycho». Ich habe 78 von ihnen kennen gelernt, darunter die Kosmonauten Polyakov und Usachev, beide schon total zwei Jahre im All. Das entspricht so etwa einer Mars-Rundreise, und die beiden sind ebenso normal wie sympathisch.

Steckbrief

Name/Vorname: Stanek Bruno

Wohnort: Arth

Geburtsdatum: 9. November 1943

Hobbys: Sprachen und Dialekte; Studium von Vergangenheit und Zukunft

Lieblingsessen: Reis, Linsen und Huhn; Fisch; Früchtekuchen…

Lieblingsgetränk: Wasser; Rivella mit Traubensaft 50/50; etwas guten Wein

Aktuelle Lektüre: TV-Monopoly von Schawinski

Zum Columbia-Unfall im St. Galler Tagblatt 8. Februar 2003

«Sinn und Unsinn bzw. Zukunft der bemannten Raumfahrt nach dem Columbia-Unglück»
Kolumne im St.Galler Tagblatt am 8.2.2003

Paradox: wenn ein Unglücksfall wie mit der Columbia passiert, ist man froh, dergleichen nicht zum ersten Mal zu erleben. Langjährige Erfahrung mildert den unvermeidbaren Schock. Schon im Januar 1967 gab es den Brand in Apollo 1, der drei Opfer forderte. Titelzeile in der damaligen Schweizer Tageszeitung “Die Tat”: “US-Mondlandung nicht mehr vor 1972″. Dann jedoch fand die erfolgreiche sechste und letzte statt! Zuvor sorgte die glückliche Rettung der Apollo-13-Mannschaft für ein wesentlich verbessertes Raumschiff, und auch die Explosion von Shuttle Challenger im Januar 1986 hatte Fortschritte zur Folge, ohne die seither kaum 87 Raumtransporter unfallfrei geflogen wären. Nicht einmal die fatalen Abstürze von Sojus 1 und Sojus 11 konnten das russische Weltraumprogramm aufhalten. Jedes Mal aber wird die Frage nach Sinn oder Unsinn der Raumfahrt erneut gestellt, als ob sie nicht längst beantwortet wäre. Und als ob globale Wetterbilder, drahtloses Telefonieren rund um den Erdball, weltweites Fernsehen und Internet sowie erst recht GPS-Satellitennavigation auch ohne Raumfahrt einfach so vom Himmel gefallen wären – ganz abgesehen von Tausend anderen Erfindungen, die vielleicht auch einmal ohne Satelliten gemacht worden wären.

Sowohl die Ignoranz von allem, für das wir eigentlich dankbar sein müssten, als auch der indirekte Nutzen von Katastrophen ist historisch verbürgt. Die ganze Evolution der Organismen auf unserer Erde folgte ständig dem Prinzip Mutation und Selektion, allerdings viel brutaler, als es in unserer technischen Zivilisation abläuft. Das Wunder der Natur bestand immer darin, dass alles ausgestorben ist, was nicht funktioniert hat. Heute nun verlangen selbst die schwächsten Mitglieder von unvollkommenen Gesellschaften, dass in der Raumfahrt alles ohne ein einziges Opfer ablaufen solle. Noch vor exakt 100 Jahren, als der Motorflug begann, wurde der Fortschritt mit einem heute undenkbaren Blutzoll erkauft. Scheinbar gebildete Leute bezeichneten diese Versuche damals als sinnlos für alle Zeiten. Heute benützen selbst solche Kritiker das Flugzeug und vergessen, dass nicht einmal ein ganzes in der Luft verbrachtes Leben für einen Selbstmordversuch tauglich wäre. Etwa jeder 100. Europäer stirbt aber früher oder später im Strassenverkehr, vom Extremsport abseits gesicherter Pisten oder freiwillig verabreichten Industrieschadstoffen (Tabak und Drogen) ganz zu schweigen. Wenn nun bis dato 432 Astronauten und Kosmonauten freiwillig das Risiko auf sich nahmen, unseren Horizont auf Jahrtausende zu erweitern, und 18 dabei sterben (jeder 24.), dann verlangt man das Ende der Raumfahrt. Auch weit weg vom Geschehen, bei uns, im Epizentrum der Pisastudie.

Die Chinesenkaiser haben vor 500 Jahren ganz ähnlich die Weltreisen per Schiff verboten und so ihrem Volk den Weg gewiesen. Obwohl sich ihr Schriftzeichen für “Chance” aus “Katastrophe” und “Möglichkeit” zusammen setzt und ihnen der Zusammenhang zwischen Risiko und Fortschritt sehr wohl bekannt war. Noch in diesem Jahr versuchen sie, als dritte Nation zum Club derjenigen zu stossen, welche Astronauten selber ins All befördern können. Derzeit arbeiten schon 100’000 Menschen in aller Welt am Aufbau der Internationalen Raumstation, dem ersten ständig bemannten Aussenposten der Erde. Die Weltraumindustrie generiert weltweit jährlich 100 Milliarden Dollar Bruttosozialprodukt, und das schon heute im wahrsten Sinne umweltfreundlich. Und morgen? Wenn dereinst auch nur ein einziger Grossmeteorit abgelenkt werden kann, haben sich alle Aufwendungen der Raumfahrt gelohnt. Seit der Entstehung der Erde sind nämlich Dutzende von solchen Kleinplaneten nieder gegangen, von denen jeder erneut alle höheren Lebewesen vernichten würde. So etwas lässt sich verhindern? Die Mondlandung war schwieriger! Abgesehen von der Prävention: Ein zweiter Planet ist die beste Lebensversicherung. Mars ist eine solche Welt, von der Flugzeit her nicht weiter entfernt als die Südsee vor 300 Jahren. Astronauten sprechen völlig selbstverständlich von Marsmenschen: von uns! Auch nach Columbia. Falls leistungsverweigernde Prognosenvollstrecker den Gang der Welt bestimmen, dann bin ich allerdings weniger optimistisch. Vor allem, was Europa anbelangt, das auch in diesem Jahrhundert noch nicht Brandstifter von Feuerwehrleuten unterscheiden kann.

Interview in Neuer Luzerner Zeitung 3. Februar 2003

Interview in der Neuen Luzerner Zeitung vom 3.2.2003:
Zum Unfall mit der Columbia

Bemannte Raumflüge, so dachte man, sind reine Routine. Ein Irrglaube?

Bruno Stanek: Ja. Alle Astronauten betonen es immer wieder: Ein Raumflug ist ein alleweil riskantes Unternehmen.

Vor allem die Starts gelten als problematisch. Dieses Mal ist das Unglück aber bei der Landung geschehen.

Stanek: Die heikle Phase mit 80% Unfallrisiko ist in der Tat der Start. 20 Prozent entfallen auf den Wiedereintritt der Orbiter in die Erdatmosphäre. Im All ist man am sichersten.

Wieso?

Stanek: Auf das Raketenflugzeug wirken eine gewaltige Luftreibungshitze und aerodynamischer Druck ein. Davor es ist es nur an seiner Unterseite voll geschützt. Wenn der Shuttle, wie vorgesehen, in die Erdatmosphäre eintritt, hält dieser Schutz. Dreht er sich aber ein wenig – vielleicht wegen einer leichten Beschädigung oder weil er ungleich schwerer beladen ist – kann ein Orbiter an der schwächsten Stelle erst langsam und dann immer schneller durchbrennen. Zumal die Hitzekacheln an weniger belasteten Stellen dank den guten Erfahrungen dünner aufgetragen werden, um Gewicht zu sparen.

Wie bitte? Die Nasa sagt dauernd, dass Sicherheit höchste Priorität habe.

Stanek: Dem ist auch so. Sehen Sie: Ein Space Shuttle darf kein Gramm Gewicht zu viel haben. Nach den Erfahrungen von hundert Flügen kann man die Dicke dieser Schicht durchaus anpassen, ohne dass die Sicherheit darunter leidet oder der umgekehrte Vorwurf der Verschwendung aufkommt.

Wie weit wird das Columbia-Unglück die Raumfahrt zurückwerfen?

Stanek: In der Vergangenheit führten Unglücke in der Raumfahrt erst zu einer fieberhaften Suche nach Fehlern und dann zu echten Verbesserungen. Das bringt die Raumfahrt weiter. Leider kostet das einen Preis, wenn auch nicht einen so hohen wie für unsere Luftfahrt vor 100 Jahren zahlen musste.

Aber vorläufig wird die Nasa wohl keine Personen mehr ins All schicken.

Stanek: Es wird mindestens viele Monate Verzögerung geben, weil man erst den Fehler finden will.

Könnte man auf die bemannte Raumfahrt nicht ganz verzichten?

Stanek: Auf keinen Fall. Wir leben auf einem einzigen und sehr schönen Planeten. Wenn wir der Erde sorgen tragen wollen, brauchen wir die Präsenz im All, um den Heimatplaneten in Bezug auf Energie und Rohstoffe zu schonen, sowie die Menschheit vor den tödlichen Gefahren aus dem All (Grossmeteoriten!) langfristig zu schützen.

Das ist Zukunftsmusik. Was hat uns die Raumfahrt bisher gebracht.

Stanek: Vergangenheitsmusik: Sie haben gar nicht genug Platz, hier alles aufzulisten. Das Kapitel “Nutzen der Raumfahrt” ist in meinem multimedialen Raumfahrtlexikon auf DVD viele Seiten dick und massiv illustriert. Die Nasa hatte schon zur Mondflugzeit über tausend Patente angemeldet. Mehrere Studien (USA und Europa) haben gezeigt: Jeder Dollar, der in die Raumfahrt investiert wird, erhöht das Bruttosozialprodukt um mindestens vier Dollar. Zum Vergleich: bei der Subventionierung der Schweizer Landwirtschaft ist das Verhältnis ziemlich genau umgekehrt!

Konkret: Was kann man im All erfinden?

Stanek: Es wurden z.B. die Trägheitsnavigation, weltweite Satellitennavigation und globale Internet-Vernetzung sowie neue Materialen entwickelt. Etwa Molekularschaum (Aerogel), der schon mit einer 5-Zentimer-Scheibe gleich viel Wärme wie ein Meter Beton dämmt. Oder denken Sie an die Raumfahrtmedizin: dank ihr hat man mehr über optimale Ernährung und Flüssigkeitszufuhr gelernt als seit der letzten Eiszeit..

Interview im Berner Bund 3. Februar 2003

Nächster Flug «im Sommer»
Interview im Berner Bund vom 3.2.2003

zur sache: Bruno Stanek

Raumfahrtexperte, Fachbuchautor und Autor von CDs und DVDs

«bund»: Herr Stanek, beim Start der «Columbia» hat sich ein Schaumstoffteil
eines Aussentanks gelöst und einen Flügel getroffen. Ist das die mögliche
Absturzursache?

Bruno Stanek: Das ist auch bei früheren Flügen schon vorgekommen – immer ohne Folgen. Getroffen wurde fast sicher nur die Vorderkante eines Flügels, die sehr robust ist und bis 2000 Grad aushält. Der Fehler vor dem Absturz ist jedoch zuerst hinten aufgetreten, beim Tempreatursensor der Hydraulik der Landeklappen, und hat sich dann weiter vorne im Fahrwerkschacht manifestiert. Es ist also denkbar, dass dieser Zwischenfall beim Start mit dem Absturz gar nichts zu tun hat.

Wie gross die Wahrscheinlichkeit, dass man die Ursache des Absturzes herausfindet?

Sehr gross, ich schätze auf Grund der besseren Voraussetzungen als bei Challenger über 95%; damals hat man den Fehler 100%ig eruiert. Man hat schon sehr viele Trümmerteile gefunden, die bei der Suche nach Ursachen helfen werden. Vielleicht noch wichtiger ist aber die Auswertung der Datenübertragungen vom Bordcomputer zur Bodenstation, also die Telemetrie, von der mindestens 6 Minuten auf der Erde gesichert sind, und der Vergleich mit allf. verdächtigten Schwachstellen in den drei Flugeinheiten in den Hangars.

Wieso könnten die Teile, die gefunden werden, giftig sein?

Die sind nicht so giftig, aber man lässt die Finder das besser glauben. Einzig der Lagekontrolltreibstoff, der nicht harmlos wäre, verdunstet relativ schnell. Je mehr Leute davon abgehalten werden, sich Souvernirs zu besorgen, desto besser für die Untersuchung.

Nach der «Challenger»-Katastrophe war für die Shuttle-Flüge mehr über zwei Jahre Pause. Wie lange wird jetzt ausgesetzt?

Ich würde mich nicht wundern, wenn man innerhalb eines halben Jahres schon

wieder startet. Im Moment sind zwei Amerikaner und zwei Russen in

der Internationalen Weltraumstation. Sie haben zwar ein Sojus-Rettungsboot,

aber es zu nutzen, wäre für sie eher unangenehmer (Astronaut Merbold nannte es einen ‘kontrollierten Autounfall’…) als die normale Rückkehr in einem Shuttle. Man wird mit grosser Wahrscheinlichkeit versuchen, sie im Sommer mit einem Shuttle-Flug zurückzuholen und gegen die 7. Expeditionsmannschaft in der ISS auszuwechseln. Ich glaube nicht, die Russen würden eine längere Sicherheitspause einlegen. Astronauten sind traditionsgemäss glücklich über Verzögerungen – es gefällt ihnen dort oben. Bis Juli reichen ihre Vorräte problemlos aus.

Dennoch: Wie sicher ist die Raumfähre?

Von 113 Flügen sind 111 gut verlaufen. Unbemannte Raketen sind kaum so zuverlässig. Jetzt muss man herausfinden, welche gefährlichen Limiten dieses Mal überschritten wurden. Dann kann man sofort wieder fliegen.

Gerade für Programm der Internationalen Weltraumstation ISS ist der Absturz aber doch ein herber Rückschlag?

Im Moment ist immer alles ein Rückschlag, am allermeisten für die Kollegen der Verunglückten in Houston. Langfristig zieht man aus solchen Unfällen aber Lehren, die für die Zukunft jedes Mal entscheidend waren. Und die Budgets, die von Ökonomen immer wieder abgezwackt werden, stockt man vorübergehend wieder auf.

Nach diesem Absturz fragt es sich einmal mehr, was der Sinn der bemannten Raumfahrt sei.

Mit bemannten Flügen können Probleme gelöst werden, die selbst mit wiederholten umbemannten Flügen nicht gelöst werden könnten; denken sie etwa an Reparatur und Wartung des Hubble-Teleskops. Mir fällt auf, dass diese Frage oft von den gleichen Leuten gestellt wird, welche sich beklagen, die Raumfahrt sei nicht mehr spannend, sobald man nicht mehr bemannt fliegt.

Interview: Rudolf Burger

Interview Berner Zeitung 3. Februar 2003 nach Columbia-Unfall

«Raumfahrt wird uns einst das Überleben sichern»
Interview in der Berner Zeitung vom 3.2.2003

Raumfahrt-Experte Bruno L . Stanek glaubt nicht, dass der jüngste Unfall im Weltraum die Raumfahr lähmen wird. Vielmehr gibt er sich überzeugt, dass «Raumschiffe gerade dank Unfällen künftig noch sicherer werden».

Interview: Fredy Gasser

Herr Stanek, bereits sprechen viele vom schweren Rückschlag für die gesamte Raumfahrt – besteht Grund dazu?

Bruno L. Stanek: Aus geschichtlicher Sicht ist diese Aussage traditionell übertrieben. Es ist der vierte Unfall dieser Art: zwei bei den Russen – beim 1. Sojus und beim 11. Sojus; die anderen zwei die «Challenger» vor 17 Jahren beim Aufstieg und jetzt die «Columbia» vor der Landung. Aber jedesmal ist es weitergegangen, jedesmal sind die Raumschiffe besser geworden. Unfälle gehören zum Lernprozess, genau wie vor 100 Jahren bei der Luftfahrt.

Das tönt hart.

Es tönt hart, aber die Welt ist noch härter. Es ist ein Rückschlag, aber hoffen wir, dass er – wie die Vergangenheit oft gezeigt hat – zu einem Fortschritt führt.

Astronauten und Bodenpersonal stecken einen solchen Unfall wohl nicht leicht weg.

Wie gesagt: Denken Sie an die Luftfahrt in deren Anfängen. Da waren lauter Freiwillige, die ihr Leben riskiert und fast eben so oft auch verloren haben. Immer ist es weiter gegangen. Bei den Astronauten ist es so: Jeder ist sich der Gefahren bewusst, jeder bespricht dies mit seiner Familie. Aber trotzdem macht jeder mit, und hinter ihm stehen viele, die gerne bei der realen Science Fiction mitmachen würden.

Aufhalten lässt sich keiner.

Nein, Astronauten wissen, was für eine wichtige Aufgabe sie für die Menschheitsgeschichte leisten. Und dafür riskieren sie ihr Leben. Jeder 30. hat es verloren. Etwa jeder 100. Schweizer verliert es im Verlaufe seiner Lebensspanne auch – im oft sinnlosen Strassenverkehr.

Was ist denn so bedeutend etwa an den Erkenntnissen, wie sich Proteine im schwerelosen Raum verhalten?

Das kann Ihnen Dr. Cogoli von der ETH sehr genau erklären. Langfristig wird die Raumfahrt das sein, was als einziges unser langfristiges Überleben sichern kann.

Das sagen Sie, weil Raumfahrt Ihr Fachgebiet ist.

Nein. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Schon mehrere Male in der Jahrmillionen alten Geschichte der Erde ist diese mit einem Kleinplaneten kollidiert, der jedes Mal fast alles Leben zerstört hat. Wenn es jetzt eines Tages wieder heisst, ein Kleinplanet nähere sich der Erde, es dauere z.B. noch fünf Monate bis zum Absturz – da wollen doch sicher alle wissen, wo er und wann genau er abstürzt. Alle Astronomen rechnen, die Zeit vergeht, aber den Absturz verhindern kann niemand. Spätestens dann wird es heissen: Wo sind die Amerikaner, sie können ihn doch runterschiessen – etwas, was technisch absolut machbar ist. Aber die Menschheit wird so nicht zu retten sein, wenn man die Raumfahrt heute nicht wagt. Irgendwie ähnlich, wie die Chinesenkaiser vor gut 500 Jahren die Weltumsegelungen verboten und ihrem Volk den Weg gewiesen haben.

Also ist der Fortschritt wichtiger, für den hohen Preis von katastrophalen Unfällen.

Ohne Unfälle geht es nie, weder im Luft- noch im Strassenverkehr. Den Schwächsten unter uns möchte ich sagen: nicht einmal der Drogenkonsum ist gefahrlos. Raumfahrt ist innerhalb Technologiegeschichte eine der unfallfreiesten Aktivitäten, die der Mensch je unternommen hat.

Hat der Unfall der «Columbia» Sie persönlich nicht berührt?

Natürlich hat er mich getroffen, und sofort ist mir in den Sinn gekommen, wie es vor 17 Jahren bei der «Challenger» war, obwohl ich damals wie diesmal fast zufälligerweise keinen der Astronauten persönlich gekannt hatte. Ich war einen Tag schockiert, zum Glück 48 Stunden fast rund um die Uhr beschäftigt, und wir fragten uns: wie gehts weiter?

Lassen sich die Unfälle «Columbia» und «Challenger» vergleichen?

Die Situation ist heute wesentlich besser. Damals hat man zunächst überhaupt keine Ahnung, weshalb es zum Unfall gekommen ist. Man wusste insbesondere nicht, ob die Ursache beim Orbiter oder bei den Tanks oder den Feststofftriebwerken lag. Diesmal hat man aber noch drei intakte, bis zu 30mal geflogene Orbiter, die auf jede mögliche Schwachstelle untersucht werden können. Heute hat man die Erfahrung von 111 erfolgreichen Shuttle-Flügen!

Zumal es bereits Verdachtsmomente gibt.

Ja, die gibt es: Die «Columbia» war alt; man ist bis an die Limiten gegangen. Sie war in gewissem Sinn auch veraltet, ist noch schwerer als jüngere Modelle, die bei kleinerem Gewicht bereits über die höhere Festigkeit verfügen. Sie war auch stärker umgebaut: das Cockpit hatte bei den ersten vier Testflügen noch eingebaute Schleudersitze und Columbia war für längere “Freiflüge” (unabh. Raumstation) abgeändert.

Astronauten wissen um die ungeheuren Kräfte – und machen trotzdem mit.

Es ist eben unwahrscheinlich schön dort oben, eigentlich jenseits von schön, sagt jeder Astronaut, der zurückkam. Und die Erfahrung zeigt: 80 Prozent der gesamten Unfallwahrscheinlichkeit haben Astronauten hinter sich, wenn sie im Orbit ankommen; die restlichen 20 Prozent sind es bei der Landung. Ihre Gefährdung im All selber ist so gering, dass man sie gar nicht rechnet. Anders gesagt: Astronauten müssen nach dem Start achteinhalb Minuten auf die Zähne beissen. Dann sind sie in ihrem Paradies, auf das sie sich ihr Leben lang vorbereitet haben, und erleben u.a. 16 Sonnenauf- und untergänge innert 24 Stunden und “Space Night live”…

Bruno L. Stanek (60) beschäftigt sich seit 40 Jahren mit der Raumfahrt. Seine TV-Übertragungen der «Apollo»-Missionen zum Mond sind legendär; seit 1997 bietet er sein Wissen in einem laufend nachgeführten Multimedia-Lexikon an. Näheres unter: www. stanek.ch.