Ganzseiten-Interview im Bote der Urschweiz 8. Februar 2003

«Unfall ist eine Häufung von Faktoren»
Interview im Bote der Urschweiz vom 8.2.2003

Der in Arth wohnhafte Weltraumexperte Bruno Stanek nimmt Stellung zum «Columbia»-Unglück

Bruno Stanek ist dem Schweizer Fernsehpublikum als Kommentator der denkwürdigen Apollo-Mondlandungen in bester Erinnerung. Die bemannte Raumfahrt und der Weltraum üben heute noch eine grosse Faszination auf den bald 60-jährigen Wissenschaftler aus. Stanek ist heute freiberuflicher Autor, der seine Arbeiten im Eigenverlag anbietet*.

Mit Bruno Stanek sprach Franz Steinegger

Wie haben Sie vom Columbia-Unfall erfahren?

Ich erhielt einen Anruf vom «Sonntagsblick», nachdem ich mich im Büro auf eine Arbeit konzentrieren wollte, vorher sogar einen Anruf durchgehen liess und ausnahmsweise auch CNN nicht eingeschaltet hatte. Sonst überzeuge ich mich dort vom Gelingen von sicher mehr als 90% der Shuttle-Starts und -Landungen, auch in der Nacht.

Ich habe das Gefühl, auf die Challenger-Katastrophe 1986 wurde emotinaler reagiert als beim Absturz der Columbia. Warum?

Challenger war der erste und ein folgenschwererer Unfall. Im übrigen teile ich Ihre Auffassung nicht unbedingt. Derzeit herrscht ein grosser Bedarf an Nachrichten aller Art zu ungunsten der USA.

113 Shuttle-Flüge fanden seit 1981 statt, zwei endeten in einer Katastrophe. Ist das nicht ein zu hohes Risiko, zumal jeweils sieben Menschen in diesen Maschinen mitfliegen?

Bisher ist etwa jeder 30. Astronaut oder Kosmonaut in Ausübung seiner aus Begeisterung freiwillig gewählten Berufung gestorben. Wer denkt schon daran, dass seit Jahrzehnten etwa jeder 100. Schweizer letztlich an einem vermeidbaren Verkehrsunfall stirbt? Alkohol, Tabak, Drogen oder Extremsport nicht mitgerechnet. Die Meisterung des Fliegens vor exakt 100 Jahren hatte noch viel höhere Opfer gefordert.

Aus wie vielen Teilen besteht ein Space-Shuttle?

Es sind ungefähr 2,5 Millionen Einzelteile. Interessant wird sein, welche der nummerierten 30’000 Hitzeschildkacheln der Columbia man am weitesten westlich auffindet, um der Unfallursache näher zu kommen.

Wurde beim jüngsten Raumfähren-Unglück geschlampt?

Nein, die Leute, die für die beschränkten Mittel heute noch am Programm arbeiten, setzen sich 150prozentig ein und sind stolz auf ihren Dienst am Raumfahrtprogramm. Wer schlampen will, hat sich längst auf dankbarere Branchen abgesetzt.

Spielte Geld oder Erfolgsdruck beim Absturz eine Rolle?

Schon eher. Die NASA konnte ihre Orbiter eben nicht wie die Swissair ihre Jets nach wenigen Jahren Einsatz an rentablere Airlines verkaufen und wieder neue anschaffen, sondern muss mit beschränkten Mitteln ständig Dinge tun, welche andere als unmöglich bezeichnen.

Wollte man die Gefahr einfach nicht wahrhaben? Schon bei der Challenger-Explosion wurde leichtsinnig auf Start entschieden, obwohl in der Nacht zuvor Minustemperaturen herrschten. Jetzt bemerkte man zwar, dass ein Gegenstand beim Start den linken Flügel getroffen hatte, schätzte die Situation aber anscheinend falsch ein.

Von der Schweiz aus – mit ehrlichen Informationen von der NASA – ist das leicht zu behaupten. Tiefe Temperaturen sind für Raketen normalerweise nicht ungewöhnlich. Die Russen starten oft bei minus 40 Grad, kälter als in Florida, und ihre Unfälle werden auch nicht jedes Mal auf Eiszapfen zurück geführt. Bei Challenger waren einzig kleine Gummiringe betroffen, welche im normalerweise warmen Florida erst als so empfindlich erkannt werden mussten. Bei der Columbia, während eines Freifluges (also nicht mit dem sicheren Ziel der Raumstation) und ohne den Greifarm mit TV-Kamera an der Spitze gab es keine Möglichkeit, einen allfälligen Defekt am unteren Hitzeschild vor der Rückkehr zu erkennen. Man musste so oder so binnen Tagen zurück.

Hat das Alter der Raumfähre – die Columbia wurde 1979 gebaut – beim Unfall eine Rolle gespielt?

Das ist nicht unwahrscheinlich. Die NASA hätte Columbia sicher liebend gerne in ein Museum gestellt und durch eine ganz moderne Flugeinheit nach dem neuesten Stand der Technik ersetzt. Man kann eben nicht sparen und Luxus gleichzeitig haben, das gelingt nicht einmal uns Schweizern, trotz jahrelangen Versuchen.

Nehmen wir an, die Nasa-Techniker hätten die Beschädigungen an der Columbia auf der Umlaufbahn entdeckt. Was könnte in einem solchen Fall unternommen werden?

Rettung wäre [] bei einem Zubringerflug zur Raumstation möglich gewesen. Ausser zwei Flügen war das bei allen Missionen der letzten zwei Jahre der Fall. Dort könnte man den Orbiter von allen Seiten inspizieren und bei Entdeckung von Schäden wochenlang warten, bis eine andere Flugeinheint die Mannschaft abholt. Den leeren und beschädigten Orbiter hätte man dann aber fast sicher aufgeben und über einem Ozean abstürzen lassen müssen.

’’Unglück passierte innert Sekunden‘‘

Lassen sich die Unfälle der Challenger und der Columbia vergleichen?

Nein, sie sind ziemlich verschieden. Die Unfälle passierten einmal beim Start, einmal bei der Landung, einmal nach wenig Flugerfahrung (25. Einsatz), einmal nach jahrelangem Betrieb. Bei Challenger hatte man zunächst keine Ahnung über die versteckte Ursache und musste die Trümmer aus rund 300 m Tiefe im Meer auf der Fläche eines Schweizer Kantons über Monate zusammen suchen. Die Trümmer der Columbia lassen sich dagegen in Texas binnen Wochen bergen, man hat drei Vergleichs-Orbiter, viele Beobachtungen vom Boden und natürlich die Telemetriedaten. Nicht zuletzt deshalb vermute ich, dass man rascher wieder fliegen wird.

Kommen noch andere Ursachen als die Beschädigung der Hitzekacheln in Frage? Beispielsweise, dass das Raumschiff zu steil in die Atmosphäre eintrat und dadurch verglühte?

Das hängt damit eng zusammen. Mit beschädigten Hitzekacheln hat der Orbiter weniger Auftrieb, sinkt noch schneller, wird noch heisser und verliert noch mehr Kacheln und Höhe – genau die Kettenreaktion, die eingetreten ist, zumal die Columbia diesmal mit ihrer ganzen rückgeführten Nutzlast von Anfang an etwas schwerer als üblich war. Ohne diese Häufung von Faktoren wäre der Unfall meiner Ansicht nach gar nicht passiert.

Aus den Funksprüchen lässt sich bei den Astronauten bis zum Abbruch des Funkkontaktes keine Panik heraushören. Starben die Astronauten einen schnellen Tod oder mussten sie leiden?

Das fragte ich mich auch. Bis sich der Orbiter fast sicher genau beim Funkabbruch zu überschlagen begann, war die Temperatur und die Gewichts-Belastung im Cockpit normal. Bevor die Astronauten vom eindringenden Feuer der Luftreibung versengt werden konnten, entwich die Luft und sie verloren das Bewusstsein. Vielleicht alles nur eine Sache von Sekunden.

Bemannte Raumfahrt wird trotz dieses Unglücks weiter betrieben. Wann, schätzen Sie, wird der nächste Shuttle in den Weltraum fliegen?

Aus «möglich» und «notwendig» heraus schätze ich bis im Sommer.

Viele stellen sich, insbesondere nach solchen Unfällen wie am letzten Samstag, die Frage, was die bemannte Raumfahrt bringt. Sie ist kostenintensiv und risikoreich. Wie antworten Sie solchen Skeptikern?

Gleich wie die Astronauten: diese Frage ist längst positiv beantwortet. In Russland, in Amerika, Europa, Japan und China. Mein Raumfahrtlexikon hat u.a. ein eigenes Stichwort «Nutzen der Raumfahrt». Alles ist aktenkundig, nur haben wir hier zu wenig Platz.

Sie sind sehr optimistisch, was die Zukunft und den Nutzen der Raumfahrt, auch der bemannten, angeht. Sind Sie nicht zu stark in der euphorischen Aufbruchstimmung der 60er-Jahre verhaftet, als man meinte, bis im Jahr 2000 Menschen auf dem Mars landen?

Damals extrapolierte man von einer leistungsbereiten Generation aus, noch bevor man die Wirtschaft durch kollektive Unproduktivität geschädigt hatte. Wenn leistungsverweigernde Prognosenvollstrecker den Gang der Welt bestimmen, dann bin ich natürlich weniger optimistisch, vor allem, was Europa anbelangt.

’’Mehr Begeisterung ist wünschenswert‘‘

Wären Sie selber gerne Astronaut geworden?

Die Natur hat mich mit weniger risikobereiter Software ausgestattet, aber mit einer riesigen Neugier und Arbeitskraft. Um im Universum zu überleben, muss die Menschheit aus Individuen bestehen, welche sich ergänzen und beide Voraussetzungen erfüllen.

Welche Tätigkeit üben Sie jetzt aus?

Nach Jahrzehnten Arbeit als Mathematiker in der Industrie, an Ingenieurschulen und vor allem bei der freiberuflichen Computerprogrammierung bin ich endlich vom «Freizeitautor» zu meinem eigenen Verleger geworden, der alle Erfahrungen als Programmierer, Trickfilmproduzent, Sachbuchautor, Dozent und Moderator unter einen Hut gebracht hat. Mehr kann man sich nicht wünschen, ausser vielleicht, dass die Mitmenschen noch so begeisterungsfähig wären wie in den Sechzigerjahren. Gerne lade ich Sie zu etwas Faszination ein, bei einem Vortrag oder auf meinen multimedialen DVD-Lexika.*

• www.Stanek.ch

In Kasten

«Astronauten sind keine Psycho»

Die Weltraumfahrer sind so normal wie sympatisch

ste. Sie vertreten die These, dass die Raumfahrt dereinst vielleicht das Überleben der Menschheit sichert? Wie meinen Sie das?

Wenn auch nur ein einziger Grossmeteorit abgelenkt werden kann, haben sich alle Aufwendungen der Raumfahrt gelohnt, zumal alle Raumfahrtbudgets der Erde nur einen Bruchteil der Drogenindustrie ausmachen. Man weiss ganz sicher, dass das geht – eine Mondlandung ist schwieriger. Seit der Entstehung der Erde sind Dutzende von solchen Kleinplaneten nieder gegangen, von denen jeder unsere heutige Zivilisation in die Steinzeit zurück befördern oder erneut alle höheren Lebewesen vernichten würde. Es gäbe auch harmlosere Argumente: vielleicht braucht der Mensch grosse Herausforderungen, sonst geht es ihm wie den Alten Römern. Oder der Schweiz…

Viele glauben auch, dass wir dank Raumschiffen andere Himmelskörper längerfristig besiedeln können. Ist diese Vorstellung nicht absurd?

Ein zweiter Planet ist die beste Lebensversicherung. Mars ist eine solche Welt, von der Flugzeit nicht weiter entfernt wie die Südsee oder Alaska vor 300 Jahren. Noch vor 40 Jahren haben viele Schweizer die Mondlandung gleichsam als unmöglich bezeichnet, und dann ignoriert, als es so weit war. Es gibt weiter blickende Pioniere.

Was wären die Voraussetzungen dafür?

In meinen Lexika brauchen Sie mindestens eine Woche, um sich in Text, Bild, Ton und Video darüber zu informieren – der Weg zum Wissen ist lang und beschwerlich. Nur der Weg zum Glauben ist kurz und leicht.

Wie soll das bewerstelligt werden, angesichts des gewaltig grossen Energieaufwandes, der dafür notwendig wäre?

Raumschiffe mit neuen Antrieben, die die NASA in diesen Jahren entwickelt oder schon hat, werden nicht wesentlich grösser als die Mondschiffe und kleiner als die Raumstation ISS sein. Es ist derzeit ein beliebtes Thema in meinen Vorträgen.

Ist der menschliche Körper überhaupt solchen Herausforderungen gewachsen? Der nächste Stern ist über vier Lichtjahre von unserer Sonne entfernt. Kosmonauten können aber schon nach wenigen Monaten im Weltraum nicht mehr selber aus dem Raumschiff steigen.

Wir sprechen hier von unserem Lebensraum, dem Planetensystem. Nachbarsterne überlassen wir künftigen Generationen. Übrigens: die US-Astronautin Shannon Lucid ist nach 6 Monaten in der Mir zu Fuss die Treppe des Shuttle hinunter gestiegen.

Hinzu kommt, dass die menschliche Psyche wohl kaum in der Lage ist, solche Herausforderungen zu bewältigen.

Astronauten sind eben keine technophoben «Psycho». Ich habe 78 von ihnen kennen gelernt, darunter die Kosmonauten Polyakov und Usachev, beide schon total zwei Jahre im All. Das entspricht so etwa einer Mars-Rundreise, und die beiden sind ebenso normal wie sympathisch.

Steckbrief

Name/Vorname: Stanek Bruno

Wohnort: Arth

Geburtsdatum: 9. November 1943

Hobbys: Sprachen und Dialekte; Studium von Vergangenheit und Zukunft

Lieblingsessen: Reis, Linsen und Huhn; Fisch; Früchtekuchen…

Lieblingsgetränk: Wasser; Rivella mit Traubensaft 50/50; etwas guten Wein

Aktuelle Lektüre: TV-Monopoly von Schawinski

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