Interview in Neuer Luzerner Zeitung 3. Februar 2003

Interview in der Neuen Luzerner Zeitung vom 3.2.2003:
Zum Unfall mit der Columbia

Bemannte Raumflüge, so dachte man, sind reine Routine. Ein Irrglaube?

Bruno Stanek: Ja. Alle Astronauten betonen es immer wieder: Ein Raumflug ist ein alleweil riskantes Unternehmen.

Vor allem die Starts gelten als problematisch. Dieses Mal ist das Unglück aber bei der Landung geschehen.

Stanek: Die heikle Phase mit 80% Unfallrisiko ist in der Tat der Start. 20 Prozent entfallen auf den Wiedereintritt der Orbiter in die Erdatmosphäre. Im All ist man am sichersten.

Wieso?

Stanek: Auf das Raketenflugzeug wirken eine gewaltige Luftreibungshitze und aerodynamischer Druck ein. Davor es ist es nur an seiner Unterseite voll geschützt. Wenn der Shuttle, wie vorgesehen, in die Erdatmosphäre eintritt, hält dieser Schutz. Dreht er sich aber ein wenig – vielleicht wegen einer leichten Beschädigung oder weil er ungleich schwerer beladen ist – kann ein Orbiter an der schwächsten Stelle erst langsam und dann immer schneller durchbrennen. Zumal die Hitzekacheln an weniger belasteten Stellen dank den guten Erfahrungen dünner aufgetragen werden, um Gewicht zu sparen.

Wie bitte? Die Nasa sagt dauernd, dass Sicherheit höchste Priorität habe.

Stanek: Dem ist auch so. Sehen Sie: Ein Space Shuttle darf kein Gramm Gewicht zu viel haben. Nach den Erfahrungen von hundert Flügen kann man die Dicke dieser Schicht durchaus anpassen, ohne dass die Sicherheit darunter leidet oder der umgekehrte Vorwurf der Verschwendung aufkommt.

Wie weit wird das Columbia-Unglück die Raumfahrt zurückwerfen?

Stanek: In der Vergangenheit führten Unglücke in der Raumfahrt erst zu einer fieberhaften Suche nach Fehlern und dann zu echten Verbesserungen. Das bringt die Raumfahrt weiter. Leider kostet das einen Preis, wenn auch nicht einen so hohen wie für unsere Luftfahrt vor 100 Jahren zahlen musste.

Aber vorläufig wird die Nasa wohl keine Personen mehr ins All schicken.

Stanek: Es wird mindestens viele Monate Verzögerung geben, weil man erst den Fehler finden will.

Könnte man auf die bemannte Raumfahrt nicht ganz verzichten?

Stanek: Auf keinen Fall. Wir leben auf einem einzigen und sehr schönen Planeten. Wenn wir der Erde sorgen tragen wollen, brauchen wir die Präsenz im All, um den Heimatplaneten in Bezug auf Energie und Rohstoffe zu schonen, sowie die Menschheit vor den tödlichen Gefahren aus dem All (Grossmeteoriten!) langfristig zu schützen.

Das ist Zukunftsmusik. Was hat uns die Raumfahrt bisher gebracht.

Stanek: Vergangenheitsmusik: Sie haben gar nicht genug Platz, hier alles aufzulisten. Das Kapitel “Nutzen der Raumfahrt” ist in meinem multimedialen Raumfahrtlexikon auf DVD viele Seiten dick und massiv illustriert. Die Nasa hatte schon zur Mondflugzeit über tausend Patente angemeldet. Mehrere Studien (USA und Europa) haben gezeigt: Jeder Dollar, der in die Raumfahrt investiert wird, erhöht das Bruttosozialprodukt um mindestens vier Dollar. Zum Vergleich: bei der Subventionierung der Schweizer Landwirtschaft ist das Verhältnis ziemlich genau umgekehrt!

Konkret: Was kann man im All erfinden?

Stanek: Es wurden z.B. die Trägheitsnavigation, weltweite Satellitennavigation und globale Internet-Vernetzung sowie neue Materialen entwickelt. Etwa Molekularschaum (Aerogel), der schon mit einer 5-Zentimer-Scheibe gleich viel Wärme wie ein Meter Beton dämmt. Oder denken Sie an die Raumfahrtmedizin: dank ihr hat man mehr über optimale Ernährung und Flüssigkeitszufuhr gelernt als seit der letzten Eiszeit..

Dieser Beitrag wurde unter Zur Raumfahrt veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.