Bote der Urschweiz – Forum Winter 2008

«Verschieden lange Ellen»
im Bote der Urschweiz Winter 2008

Wenn es um Energiesparen oder Energieknappheit geht, dann wird bei uns rituell darauf hingewiesen, dass die 4 oder 5 Prozent der Weltbevölkerung in der führenden Wirtschaftsmacht der Welt «am meisten» aller Rohstoffe verbrauchen. Dieses «Argument» stimmt in vielen Fällen längst nicht mehr. Der Grund liegt in Effizienzsteigerungen bei der Produktion, saubereren Technologien, z. T. aber auch in der Auslagerung von Industrien in Länder mit grosser Bevölkerung und hoher Arbeitslosigkeit. Inzwischen haben andere Länder bei der «Schadstoffproduktion» dermassen aufgeholt, dass man es auf Satellitenaufnahmen sehen und unten riechen kann. Die Luftqualität in den USA ist dagegen über die letzten Jahrzehnte sogar im Vergleich zur sauberen Schweiz stark gestiegen. China, das auch uns Schweizern Vieles liefert, was wir uns bei der Herstellung im eigenen Land niemals so billig leisten könnten, erzwingt dies nur durch einen massiv wachsenden und ökologisch bedenklichen Rohstoffverbrauch. Wöchentlich erreichen uns im hinteren Teil der Zeitungen Hiobsbotschaften aus dem bevölkerungsreichsten Land über Unglücke in veralteten Kohleminen zur Deckung des Energiebedarfs sowie vergiftete Abfälle oder sogar Textilien und Spielsachen. Kaum je heisst es aber, China hätte nun beim Schadstoffausstoss die nach wie vor produktivsten USA überholt. Wenn schon, wird umgekehrt formuliert: ein Land wie China hätte die USA inzwischen beim Energieverbrauch, der Stahlproduktion oder was auch immer «überflügelt», als ob dies der jüngste Beitrag zum Umweltschutz gewesen wäre. Wenn es China gelingt, einen Kleinwagen für Hunderte von Millionen erschwinglich zu machen, dann wird höchstens auf die wachsende Wirtschaftskraft des Landes hingewiesen. Wo man hinschaut: verschiedene Ellen bei der Beurteilung, und dies nicht nur im Olympiajahr 2008. Auch aus Russland, wo man inzwischen, wie früher, keine unbestechlichen Wahlbeobachter mehr ins Land lässt, berichtet man lieber von Schweizer Delegationen, die bei der Gewährung von Visa «keinerlei Probleme» gehabt hätten. Dies freilich ohne zu sagen, dass in Russland wenig zu befürchten war von unseren linken Parteivertretern, die sich seinerzeit auch am Archipel Gulag nie gestört hatten. Unsere Finanzjongleure sind bei der Anwendung verschiedener Massstäbe nicht weniger unfair. Wenn unsere Wirtschaft einmal läuft und die Banken Rekordgewinne melden, weil die Konjunkturblasen noch einige Jahre vor dem Platzen sind, dann wird stolz auf Europas wachsende Bedeutung gegenüber den USA hingewiesen, und dass hier (dank Aquisitionen im Osten…) inzwischen 460 Mio. Einwohner den 300 Mio. in den USA gegenüber stehen. Blindlings wird jedoch in den USA investiert, weil nicht ganz zu Unrecht der Glaube herrscht, dass «das Geld dort am besten arbeitet», wie es in den Werbesprüchen der Banken immer so schön heisst. Nun, eigentlich arbeiten noch immer Menschen… Kaum aber platzt eine Immobilien- oder überdrehte Pensionsgelderkrise in den Boom, ob bei uns oder anderswo, dann zittern binnen Stunden und Tagen alle Spekulanten vor ihren Bildschirmen und sehnen sich «positive Vorgaben» von der New Yorker Börse herbei, ohne die offenbar nichts auf der Welt zu laufen scheint. Wie bitte – von diesen ungeliebten 4 bis 5 Prozent der Weltbevölkerung erwartet man plötzlich, dass sie der einzige Wirtschaftsmotor auf der Erde sein sollen? Im Innersten natürlich schon, aber das formuliert man genau umgekehrt: die USA sind jetzt einzig und allein schuld, weil es bei den übrigen 6 Milliarden sonst doch so viel gescheiteren Erdenbürgern nicht mehr läuft. Zu diesem Schema gäbe es viele weitere Beispiele. Kennen Sie die Archivaufnahmen von hungernden Menschen in der Dritten Welt, welche Ihnen bei jeder Gelegenheit mit Übergewichtigen aus nur einem einzigen Land, den USA, gegenübergestellt werden? Die Zahlen sehen längst anders aus. In China sind 27% übergewichtig, und nach der gleichen Definition waren es 2006 in den USA deren 34%. In Brasilien waren es schon vor der Jahrtausendwende 37% – mit zunehmender Tendenz. Ägypten hat 60% und Mexiko hat sogar 70% Übergewichtige – aktuelle Zahlen aus dem «Scientific American»! Besonders pikant: Inzwischen sind bei den ärmsten Völkern der Welt für sich betrachtet bereits mehr Menschen übergewichtig als unterernährt – wohlgenährt ist also eine Mehrheit! Drei Beispiele nur – für längst revisionsbedürftige Vorstellungen.

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