«Was man in Galapagos verstehen und missverstehen kann»
im Bote der Urschweiz Sommer 2007
Kürzlich besuchte ich im IMAX Luzern den wunderschönen Film über die Pinguine und See-Elefanten in ihrer fernen und fremden Welt Südgeorgien vor dem Antarktischen Kontinent. Diesen würde ich allen Lesern empfehlen, wie die allermeisten IMAX-Erlebnisse, aber das ist ein anderes Thema. Abgesehen von vielen bisher unbekannten geografischen Erkenntnissen wurde einem wieder einmal bewusst, wie tüchtig unsere fernen genetischen Verwandten offenbar sein müssen, um in jenem Klima zu überleben. Seit Jahrmillionen tun dies nur die Fittesten. Weil es dort nur noch solche gibt, herrscht praktisch völlige Gleichheit, was man bei der Krone der Schöpfung, dem Menschen, rund um den Globus mühsam herbeireden muss. Wunderbar nun, in voller IMAX-Qualität am Beispiel der Natur und ihrer kompromisslosen Spielregeln zu beobachten, wie irdisches Leben seit Jahrmillionen die verrücktesten Klimaschwankungen und Kontinentalverschiebungen überlebt hat. Selbst die intellektuelleren und kaufkräftigeren Schweizer Touristen reisen erst selten an den Südpol oder nach Südgeorgien, aber neuerdings auch schon nach Galapagos, den eigenartigen “Naturzoo-Inseln” vor der ecuadorianischen Pazifikküste. Ihre Reiseberichte würden einem oft zwingen, alles jahrzehntelang gesammelte Wissen über die Evolution über Bord zu werfen, wenn man sich nicht etwas Zeit zum Nachdenken nähme. Da ist die Rede vom vorbildlichen Kräftespiel der Natur, von unberührter Ökosphäre und erfolgreicher Verhinderung von menschlichen Einflüssen. Da gäbe es Tierarten, die es sonst nirgends mehr gäbe! Wirklich? Nun, die genau gleichen natürlich nicht, aber mehr oder weniger verwandte, denn selbst auf den Galapagos-Inseln entstehen Tierarten nicht einfach so aus nichts, obwohl diese verkehrte Vorstellung für einen Kreationisten mit affenartiger Behendigkeit gemeistert würde. Bei genauerer Betrachtung erkennt man die eigenartig byzantinischen Kreaturen durchaus wieder, die sich im Sonderfall Galapagos aus einst tüchtigeren Schwimmern, Läufern unf Fliegern entwickelt haben. Mangels Feinden auf dem abgetrennten Festland bzw. neuen vulkanischen Böden im Meer sind sie komischerweise nicht tüchtiger geworden, sondern haben es sich auch ohne staatliche Unterstützung während ein paar Jahrmillionen gut gehen lassen. Sie haben viele Fähigkeiten verloren, die so lange überlebenswichtig waren, bis sie sich über Zeiträume gebildet hatten, gegenüber welchen die dekadente Geschichte von Galapagos nur ein Augenblick ist. Damit erkennbar wird, was man daraus lernen kann, berichte ich ganz kurz von einer herrlichen Reklame in einer Luftfahrtzeitschrift, in welcher karikiert wurde, was mit einer Flugzeugfirma passiert, welche sich nicht mehr vorwärts entwickelt. Blickfang war einer dieser Riesenvögel aus Galapagos mit seinen viel zu langen Beinen, die eben wichtig werden, sobald man nicht mehr fliegen kann. Da steht er nun, der unglückliche Leistungsverweigerer, mit viel zu kurzen Flügeln und einem unbeschreiblich erbärmlichen Gesichtsausdruck, der – natur pur – zum Ausdruck bringt, dass das Opfer der Negativselektion genau zu wissen scheint, worüber sich seine Umwelt mokiert. Die Werbewirkung eines Inserates von dieser Qualitätsklasse wird Jahrmillionen überdauern. Welche natürliche Botschaft dahinter steht, muss man allerdings zu sehen belieben. So, wie es Mode geworden ist, für jedes unangenehme Faktum den entschärfenden Irrtum bereitzustellen, werden uns in immer kürzeren Abständen vorgefertigte Meinungen zur Evolution von Mensch und Tier serviert und, wenn nötig, in Form von Paniken verbreitet. Die Politik ist jeweils für den soliden Unterbau der Konstrukte besorgt und delegiert die saubere Entsorgung von allerlei mittelalterlichem Schwachsinn bei unvorhergesehenen Widersprüchen an die Medien. Geniessen Sie das Theater als Zuschauer, nur nicht als Mitspieler! Die Stücke folgen sich bald in immer kürzeren Abständen, um alle Interpreten zu beschäftigen.