Update StarShip-Entwicklung #1: Orbitaltest musste warten

Es ist April 2022 und ich konnte den schon lange in Aussicht gestellten ersten Orbitaltest noch immer nicht präsentieren. Keine der Autoritäten in den USA, welche jede Starterlaubnis mit rein juristischen Argumenten bis Ende Jahr oder länger verschieben kann, hat bis jetzt irgendwelche verbindliche Zusicherungen abgegeben. Einzig rational verständlicher Grund für diese Blockade ist weiterhin der Versuch, der hoffnungslos verspäteten Staatswirtschaft mit ihrem aussichtslosen Projekt SLS/Artemis ev. schon im Mai den Vortritt zu lassen. Dies erinnert an den deutschen Raketenpionier Wernher von Braun, dessen Satellitenprojekt «Redstone» bei der US-Army, obwohl bereit, von Navy-General Dwight D. Eisenhower rund ein Jahr aufgehalten wurde, um der Navy-Rakete «Vanguard» den Vortritt zu lassen. Was die USA am 4. Oktober 1957 in die nachhaltig peinliche Sputnikschock-Prestigekrise stürzte, als die Sowjetunion den weltweit ersten Erdsatelliten konkurrenzlos starten konnte. Nichts wurde daraus gelernt.

Warum hat es bis zum Orbitalflug so lange gedauert?

Im Space Corner 8/2021 schien kurz nach einem ersten zusammengesetzten StarShip eigentlich alles parat. Die Komplexität der noch nicht stattgefundenen integrierten Tests und Probezündungen wurde damals sicher unterschätzt, aber der Hauptgrund lag wohl eher im Entscheid von SpaceX, den Startturm (Orbital Launch Tower, OLT) zumindest bei den Startvorbereitungen bereits teilweise zu nutzen und dessen Fertigstellung abzuwarten. Damit konnte man Kräne ersetzen, Erfahrungen bei den Manipulationen von StarShip und Booster am Boden mit dem später noch viel wichtigeren «Starcatcher» bekommen und die Zeit nicht ungenutzt lassen, um noch einmal alle Komponenten in den beiden Raumschiffteilen auf Herz und Nieren auszutesten.

Nie ganz geklärt wurde, welche Rolle das Luftwamt FAA mit ihren endlosen «Umweltverträglichkeitsprüfungen» bei den Verzögerungen (zumindest inoffiziell) gespielt hat. Schliesslich war es der Jahreswechsel, der unvermeidliche Pausen erzwang. Am 12. November 2021 zündete StarShip SN-20 seine 6 Raptors (3 Vakuum-Versionen und 3 für Normaldruck in Meereshöhe) erstmals gleichzeitig. Die letzten noch fehlenden Hitzeschild-Kacheln an dessen Nase konnten Mitte Dezember montiert werden, weil die freigelassenen Stellen für die Aufhängepunkte der Kräne dank den «Starcatchern» nicht mehr benötigt wurden. Beim 2. Stacking auf volle Höhe 120 m am 22.2.2022 bewährte sich der «Hebekran» Mechazilla mit seiner Präzision auf Anhieb und auch bezüglich Geschwindigkeit im Vergleich zur Kranmontage. Bis dahin waren alle Kältetests im Starship SN20 und dem Booster B4 bestanden, auch alle 6 Teil-Probezündungen im B4. Nur die Zündung aller 29 Raptors in B4 stand noch aus, die vorangehenden Kältetests waren aber längst alle unter Dach.

Die FAA war jedoch weiterhin nicht parat. Anderseits war man in Florida verdächtig rasch bereit, die Erlaubnis zum Bau einer zweiten StarBase zu erteilen – natürlich auf Kosten von SpaceX. Dies erregte zwar in texanischen politischen Kreisen den Verdacht, dass dies rasch zur «politischen Kaperung» von Starbase 2 durch die NASA führen könnte. Der Kampf zwischen TX und FL ist im Gang, während SpaceX deren Bau dank allen Erfahrungen noch schneller vorantreiben kann als in Texas! Elon Musk sieht natürlich den Vorteil von zwei 1500 km voneinander entfernten Startplätzen bei einem «unerwarteten Ereignis», will aber die Investitionen in TX keinesfalls verlieren.

Beobachter gingen davon aus, dass B4/SN20 nie starten wird und daher um so gründlicher «zu Tode getestet» werden kann. Die wiederholten Tiefkühl-Drucktests, ob in seperaten Stufen oder auf 120 m gestackt, deuteten immer mehr darauf hin. B7/SN24 mit seinen inzwischen 33 Raptor-2-Triebwerken à 230 t Schub statt 29 Raptor-1 mit 185 t ist bereits einen grossen Technologieschritt weiter. Die Bestätigung für den «upgrade» kam am 22.3.2022 offiziell.

Abgesehen davon, dass bei B7 auch alle sichtbaren Verkabelungen am Booster verschwunden sind und ebenso die Hochdruck-Gasflaschen – composite overwrapped pressure vessels, COPV. Jene wurden als neueste Erfindung so aerodynamisch verkleidet, dass die zurückkehrenden 68 m langen Stufen automatisch in stabiler Orientierung herunterfallen und nicht zu taumeln beginnen. Dann müssten sie nämlich gesteuert werden, sei es nun mit den Kaltgasdüsen oder in der dichteren Luft durch Bewegung der vorderen und hinteren Flaps. Dies bedeutet ein weiteres Mal: mehr Nutzlast und ein immer schlankeres StarShip!

Warum ist ein StarShip nicht so einfach zu kopieren?

Je grösser der Vorsprung von SpaceX bei der Entwicklung wiederverwendbarer Raketen wird, desto öfter liest man, die Konkurrenz würde diese Technologie «einfach kopieren». Nun, so einfach ist das nicht. Warum?

Der Wechsel von Aluminium auf spezifisch dreimal schwereren Stahl beim neuen StarShip bringt zwar leicht erkennbare Vorteile: Festigkeit, Temperaturbeständigkeit, leichte Bearbeitbarkeit und erstaunlich günstiger Materialpreis von 4 Dollar pro kg. Dies gegenüber 130 $ bei Graphitfasern oder 40 $ bei Aluminium-Lithium (Al-Li), wie in den Falcons. Der von SpaceX verwendete Chrom-Nickel-Stahl fordert jedoch einen ganz anderen Preis: total andere Architektur der Raketen, die bisher als unmöglich galt oder zumindest noch nie eingesetzt wurde. Vor 60 Jahren hat man Stahl zum ersten und letzten Mal in einer der ersten Atlas-Agena-Raketen verwendet. Ein offenbar verfrühter Entscheid aufgrund einer unnötigen Unvorsichtigkeit

Stahl in der von SpaceX selber weiterentwickelten Form gilt bis 800 °C als festigkeitsmässig zuverlässig, bei Al-Li ist bei 200 °C Schluss. Damit wird einem aber der Vorteil geschenkt, dass die Raketen beim heissen Wiedereintritt mindestens auf der Lee-Seite gar keine speziellen Hitzeschilde mehr benötigen, und dass jene auf der glühenden Seite sogar dünner sein dürfen! Diese Kaskade von Vorteilen stürzt aber sofort zusammen, wenn jemand aus Sachzwängen heraus auch nur wenige Technologiestufen dazwischen nicht beherrscht.

Die triviale Forderung, dass eine positive Nutzlast resultieren muss, erfordert weitere Massnahmen: mit Methan einen neuen Treibstoff, der zusammen mit dem Sauerstoff weit unter deren Siedepunkte zu kühlen ist, was die Gefahr eingefrorener Ventile bringt. Nachfüllen bis im letzten Moment vor dem Start macht «Quick Disconnect» binnen Sekunden nötig. Darüber, dass nicht wie früher ein separates, neutrales, Druckgas in den Tanks benötigt wird, wird selten gesprochen. StarShips verwenden hierzu den im Gleichgewicht mit dem flüssigen befindlichen gasförmigen Treibstoff selber – eine wesentliche Vereinfachung!

Die für die Wiederverwendbarkeit einst unverzichtbaren Landefüsse (mit welchen SpaceX bei der Falcon-9 bereits 113 Landungen meisterte) müssen auch noch weg, weil sie viel zu schwer wären. Dies macht jedoch einen «Starcatcher», also bisher «Science Fiction», nötig. Etwas, woran die Konkurrenz ohnehin nie glaubte und nun vor ihren Augen entstehen sieht. Auf der Starbase steht bereits der erste 145 m hohe Start- und Landeturm (OLT), und SpaceX nutzt die gleiche Infrastruktur bereits ebenso sicher wie rasch und präzis vor dem Start zum Zusammensetzen der Raketenstufen! Dies alles war zwar eine gewaltige Investition, aber das eingesparte Gewicht der Landefüsse kommt nun bei der StarShip-Oberstufe zu 100% der Nutzlast zugute und beim Booster «Super Heavy» immer noch zu einem beträchtlichen Anteil. Schliesslich spielt der Skalierungseffekt bei einer Riesenrakete wie dem StarShip eine Rolle: Steuerung, Elektronik und Software sind gleich schwer wie bei den Kleinraketen, wo sie alles andere als vernachlässigbar sind.

Elon Musk hat zwar noch einigen Spielraum bei der geplanten Nutzlast der StarShips zwischen 100 und 150 Tonnen oder in Ausnahmefällen von 250 t nach dem Wegwerfprinzip am Ende der Lebensdauer eines StarShips. Weitere Optimierungen sind bereits realisiert, wie z.B. der Ersatz von unnötig bordeigenen Triebwerkturbinen-Schnellstartern bei wenigstens 20 von gut 30 Raptor-Triebwerken im äusseren Kreis der Booster. Diese braucht es nur einmal! Sie bleiben dann am Boden, erfordern aber 20 kleinere, ebenso schwierig zu realisierende «Quick-Disconnect-Mechanismen», die den Booster beim Start im gleichen Sekundenbruchteil wie die Halteklammern freigeben. Jede Sekunde, die bis zum Abheben unnötig verstreicht, verschwendet 20 Tonnen Treibstoff!

Der Konkurrenz sind all diese offen bekannten Erfordernisse dank der Offenheit von SpaceX nicht unbekannt. Sie tut sich im Moment aber selbst bei den bisherigen Technologien noch schwer. Jene haben leider, weil nicht wiederverwendbar, keine Chance mehr, sind aber noch lange nicht amortisiert! Wer die grossen Investitionen binnen wenigen Jahren nicht aufbringen kann – trotz aller Begeisterung an der derzeitigen Renaissance der Raumfahrt – muss aus dem Markt ausscheiden. Ob es Blue Origin von Jeff Bezos ist, auch ein vermögensmässig «11-stelliger» , aber inzwischen eindeutig die Nr. 2 hinter Musk mit all seinen Firmen. Bezos fehlt es nicht an Geld, sondern an Fachleuten! Bei der United Launch Alliance (UAL) mit Boeing und Lockheed Martin, oder erst recht Raketenbauern in anderen Ländern – bei allen ist beides knapp und sie müssen buchstäblich wieder auf Feld 1 zurück. Langfristig getätigte Investitionen in «Old Space» sind dann verloren.

Dennoch stimmt die ständig fordernde NASA, das bis jetzt gar nicht kooperative Luftamt und eine derzeit mehr gewerkschaftlich als an den Fortschritt der Menschheit denkende Regierung nachdenklich. Erinnert das nicht an das Gleichnis der verwöhnten Prinzessin, die sich den besten Mann im Lande angelte, von diesem dann aber immer mehr forderte, ohne umgekehrt irgendwelche Versprechungen zu machen? Dort ging es zwar nicht um einseitig private Milliardeninvestitionen, sondern meist noch um Drachentötungen und andere lebensgefährliche «Liebesbezeugungen». Zu schlechter Letzt für die Prinzessin wollte dann allerdings der Mann nicht mehr, und zwar mit dem nachvollziehbaren Argument, dass sie sein Leben nie in diesem Mass auf’s Spiel gesetzt hätte, wenn sie ihn wirklich geliebt hätte! Was also, wenn Elon Musk einmal die Geduld ausgeht? Diese Frage stellen sich Beobachter immer wieder.

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