Heimweh nach Beverly Hills

Der zehnte von 13 Texten, die ich für den Kulturplatz-Blog des Schweizer Fernsehens geschrieben hatte im Gefolge meiner Mitwirkung in der Gedenksendung zu «40 Jahre seit Apollo 11»

Vor 44 Jahren kam ich erstmals nach Los Angeles und lebte in einem Wohnviertel zwischen Beverly Hills und Culver City. Da ich noch kein Auto besass und auf Transportmöglichkeiten angewiesen war, aber auch weil man wegen dem Smog nie weiter sehen konnte als bis zur nächsten Ampel, während dahinter alles in gleichmässigem Braun verschwand, wusste ich nie genau, wo ich war. Vor allem als Fussgänger erforderte dies einiges an Orientierungsvermögen – und ein Gedächtnis für lokale Besonderheiten. Wie an einem wolkigen Tag war die Sonne praktisch nie sichtbar, also versagte auch meine „Astronavigation“. Selbst mitten im grünsten Park, wo man weder eine Strasse noch ein Auto sehen konnte, roch es wie in der untersten Etage einer Tiefgarage. Die Leute klagten über Sinusitis, also Nasenschleimhautentzündung, nahmen aber alles sehr gelassen und waren bemerkenswert freundlich. Wenn mich meine Gastfamilie nach Hollywood, Santa Monica oder Pasadena führte, bemerkte man kaum örtliche Unterschiede. Irgendwo kreiselte man sich auf einen Freeway, trat eine halbe Stunde aufs Gas, verwirrte mich mit ständigen Wechseln auf mehrstöckige Autobahnen, die damals schon bewachsen waren wie die Hängenden Gärten von Semiramis im antiken Babylon, und erreichte plötzlich einen anderen Stadtteil in dieser Metropole von der Grösse des Schweizerischen Mittellandes. Gerade wegen meinem nicht so schlechten Orientierungsvermögen irritierte mich am meisten, dass ich kaum je sagen konnte, in welche Richtung man gefahren war! So nützten mir auch die in der damals rasch wachsenden Stadt alle weil unvollständigen Karten nicht viel. Soweit ich überhaupt je eine zu sehen kam, denn mir schien, dass es die Gastgeber als völlig überflüssig betrachteten, den Besucher aus der Gestrigen Welt über die Geographie dieser Stadt aufzuklären. Bei ihnen fuhren Söhne und Töchter schliesslich schon mit 16 Jahren Auto und die Eltern durften sie bereits ab dem 15. Altersjahr ans Steuer lassen, damit es der Nachwuchs sicher und gründlich lernte. Ein Fossil aus Europa musste nicht aufgeklärt werden, er hinkte sowieso eine Generation hinterher.

Mich zog es sieben Jahre später erstmals wieder nach Los Angeles, und meine Aufholjagd begann, selber ein akzeptiertes Mitglied der amerikanischen Gesellschaft zu werden. Langsam begann ich, den gewaltigen Kosmos automobil zu erkunden, und z.B. die Stätten meiner ersten Besuche wieder zu finden. Bald entdeckte ich die Schönheit der Hollywood Hills und das Griffith Observatorium dort oben – und gleichzeitig eine grosse Wandlung, welche die Stadt in den 11 Jahren zuvor gemacht hatte. Ein älterer Herr bewunderte dort oben einmal die Aussicht, und erstmals sah ich von jenem Punkt die Weite von Los Angeles als Ganzes vor mir. Der Mann klärte mich auf: seit den 1930er-Jahren hätte er nie mehr die gut 20 Kilometer bis nach Santa Monica am Rand des Pazifiks sehen können! Trotz wachsendem Verkehr war es also gelungen, dem Smog Herr zu werden. Der Katalysator und bleifreies Benzin hatten das Wunder vollbracht. Nach fast zwei Jahrzehnten zog die übrige Welt nach, und der Katalysator musste nicht mehr aus US-Autos entfernt werden. In der Übergangszeit freute ich mich einmal über einen Schweizer Bauer auf einer Reise durch die USA. Sein grosses Staunen gründete in der Beobachtung, dass er trotz den Millionen von Autos auf den meist fünfspurigen Autobahnen keines mehr riechen konnte, während er in Wien oder Madrid jeden Abend noch schwarzen Russ schnäuzen musste.

Mit jedem Besuch im Ungelobten Land entdeckte ich Neues in Los Angeles. Die noch 1965 Tag und Nacht im gleichen Takt schaukelnden Ölbohrtürme auf Hügeln in der Stadt verschwanden in Museen, die Landschaft wurde wieder grün, und in Beverly Hills, den Wohnvierteln neben Hollywood, begann die Wohnqualität bald auch meine Frau zu faszinieren. Die Blumen in den Gärten dufteten noch über die weiterhin breiten Strassen hinweg, die Architektur in den italienischen oder französischen Restaurants war immer weniger von vergleichbaren Lokalen in Rom oder Paris zu unterscheiden – nur die Bedienung war ungleich freundlicher. Auf unseren Spaziergängen entdeckten wir Häuser aus der gleichnamigen TV-Serie, in Hinterhöfen der nur noch wenigen älteren Viertel glaubte ich mehrmals Schauplätze der schwarzweissen Filme von Charlie Chaplin (wenn auch in Farbe) zu erkennen, und das mir zunächst nicht besonders sympathische Los Angeles offenbarte sich in Raum und Zeit als jener Kulturraum, der von Film, Musik und Raumsonden zu den Planeten so vieles geschaffen hat, das früher oder später die Welt in der einen oder anderen Weise erobert hat. Vom Pazifik bis nach Pasadena spürte ich die Kraft der Angelinos, Probleme in Rekordzeit zu lösen. Die Stadt zeigt im Abstand von wenigen Jahren immer wieder ein neues Gesicht, einen neuen Lebensstil und neue Perspektiven.

Je mehr Schweizer aus dem Showbusiness ich kennen lernte, desto mehr wurde mir klar, dass ich mit meinen Eindrücken gar nicht allein war. Auch Andere konnten dort auf die verschiedensten Arten glücklich werden, sei es, dass sie dort die ihnen passenden Kleider fanden, die ihnen sympathischen Restaurants entdeckten, gleich gesinnte Künstler als Freunde gewannen, dem Neid ihrer Herkunftsländer entfliehen oder sich an den Hochschulen in zukunftsweisenden Disziplinen ausbilden konnten, sich über die neuesten Lifestyle-Trends informieren oder einfach eine schöpferische Pause einlegen wollten. Ich besorgte mir im Vorort Pasadena während Jahren Informationen über die neueste Planetenforschung, was nun über das World Wide Web allerdings einfacher und billiger, aber vom Gesamteindruck her nicht besser geworden ist. Heimweh nach Beverly Hills? Ich wäre nicht der Einzige. Immerhin mit der Ausrede, bei Gelegenheit auch noch meinen Sohn im Silicon Valley besuchen zu können. Ihm ist es in Palo Alto und Santa Cruz bei San Francisco offenbar genau so wohl geworden – trotz der harten Arbeit und den respektablen Lebenskosten.

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