Eine «Überschwemmungskatastrophe» in der Schweiz

Pfahlbauer

Zur Zeit der Pfahlbauer vor einigen Tausend Jahren waren Überschwemmungen noch an der Tagesordnung. In der Linthebene war es noch vor 200 Jahren jede Saison ungleich schlimmer als heute, bis Konrad Escher von der Linth aufrief, in die Hände zu spucken und das Wasser in die Schranken zu weisen. Zu jener Zeit konnte man die Industrie noch nicht als Sündenbock für den verursachenden Klimawandel verantwortlich machen, weil es sie noch gar nicht gab. Zur Zeit der Pfahlbauer eigneten sich auch US-Präsidenten noch nicht für den Joker als Universal-Verursacher, denn sie waren noch gar nicht in die Neue Welt ausgewandert und gehörten noch zu uns. Komischerweise wurden nun ausgerechnet im Pionierland der Wasserverbauungen plötzlich alle Lehren von den Pfahlbauern bis zu Konrad Escher in den Wind geschlagen und zum Beispiel im Berner Mattequartier die Keller der Häuser bis direkt ans Wasser der Aare gebaut! Regelmässig wie die Fasnacht wiederholten sich die Katastrophen, obwohl bald leibhaftige Bundesräte aus ihren Bürofenstern den Städtebauern unten am Fluss beim fahrlässigen Tun auf die Finger schauen konnten. Als eine viele hundertfach grössere Hurrikan-Katastrophe die Bewohner von New Orleans heimsuchte, wo französische Einwanderer am ungeeignetsten Ort der US-Golfküste eine Stadt gegründet hatten (daher gilt dieser Ort wohl für Europäer als die einzige amerikanische Kulturstadt), da war sich die veröffentlichte Meinung bei uns absolut sicher: so etwas direkt Lächerliches würde bei uns nicht passieren. Und es passierte sogar bald jeden Sommer, und nicht nur einmal im Jahrhundert! Ausgerechnet im Lande Pestalozzis versäumten die Nachfahren der Pfahlbauer bauliche Massnahmen, um viel harmlosere Überschwemmungen zu bannen. Stattdessen wurde es zum Thema, welcher Kanton längs der Aare denn noch untätiger als der Nachbar geblieben war und welche Behörde nun längst ein Frühwarnsystem in Form einer Computer-Simulation trotz allen Warnungen und Erfahrungen verschlafen hatte. Ein Programm, welches die sich fortbewegenden Wasserstände aller zuführenden Flüsse nur wenigstens für ein paar Stunden zum voraus berechnen konnte. Der kleinste aller bei Banken und Versicherungen installierte Computer würde dazu genügen, ja sogar jeder PC! Natürlich mit einem automatischen Messstellen-Netz, privatwirtschaftlich organisiert nach dem Vorbild der Webcams, die ebenfalls ohne den Staat recht herrlich gedeihen. Lokalisiert wie das Wettergeschehen – den Differentialgleichungen ist es nämlich egal, welche Anfangsbedingungen sie bekommen. Derweil ist die Küste von Texas und Louisiana in Rekordzeit durch eine gewaltige Mauer gegen Winde bis 250 km/h und tropische Regengüsse geschützt worden, höher als alles, was die Ingenieure nach einer ähnlichen Katastrophe zu Beginn des 20. Jahrhunderts errichtet hatten. Eine Verbauung, die immerhin für 100 Jahre genügt hatte. Hoffen wir, dass unsere Pfahlbauer auch bald wieder fähig sind, sich gegen zwei Regentage zu schützen.

Dieser Beitrag wurde unter Zum Weltgeschehen veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.