Ich hatte die Leitung einer Pressekonferenz mit Fragen von meist eingeladenen Journalisten auf Einladung der Internationalen Astronautischen Föderation im Verkehrshaus Luzern. Anwesend die Astronauten Lovell (er sprach nur englisch) und Kosmonaut Sewastianov (er sprach russisch und deutsch, sein Botschafts-Übersetzer nur französisch). Es wurde eine heute fast unglaubliche Anekdote.
Termin war der 28. September 1971 vormittags etwa ab 10 Uhr. Ich war zuvor noch auf meiner Bank in Oerlikon nach einer Fahrt aus Basel von meinem Job im Rechenzentrum von Sandoz! Mit Verkehrshausdirektor Alfred Waldis war der Anlass (mein Originaleintrag in der Agenda lautete nur 10:00, 11:00 Verkehrshaus…), wie damals leider üblich, nur mündlich verabredet, viele Monate zuvor, und nie rückbestätigt! Ich nahm aber den Tag doch frei, weil mich die Gelegenheit reizte, und reiste via Zürich-Zug an, wo ich die Freundin Annemarie Schönenberger im Büro an der Baarer Strasse noch ahnungslos ruhig einen Brief fertig schreiben liess. Weiterfahrt nach Luzern, dort erst noch auf die Toilette im obersten Stock des verdächtig ruhigen Verkehrshauses und ohne Eile zusammen mit meiner langhaarig blonden Begleiterin so leise wie möglich von hinten in den total überfüllten Pressesaal. Mit Blick auf der Suche nach dem letzten Platz fällt mir nur noch einer auf: zwischen Alfred Waldis und den Astronauten am Kopf des Tisches!! Waldis winkt. Augenblickliche Erfassung der Situation, Platz einnehmen. Annemarie lässt sich zuhinterst nieder, wo ihr natürlich sofort jemand Platz macht. Ich schreite, ohne jede sichtbare Nervosität, “scheinheilig gelassen” nach vorn, als wäre alles so geplant gewesen, und setze mich hin. Waldis beginnt unmittelbar zu sprechen. Nach einem oder zwei Sätzen gibt er mir das Wort!
Das unglaubliche passiert: mein Gehirn und meine Nerven lassen mich ein weiteres Mal nicht im Stich: Nach wenigen Sekunden Vorbereitung würdige ich die einmalige Ost-West-Situation, dass sich ein amerikanischer Astronaut und ein russischer Kosmonaut in einem neutralen Land den Fragen des Publikums stellen würden! Ohne genaue Instruktion zum Prozedere der PK auf deutsch und englisch. Zwecks Erwärmung des Publikums und mit meinem Privileg als Moderator stelle ich gleich die erste Frage. Welche genau, das ist das Einzige, was ich bis heute vergessen habe, aber beide Raumflieger beantworteten sie erwartungsgemäss interessant und intelligent, wie man es erwarten konnte. Niemandem fiel auf, dass alles rein zufällig so professionell ablief.
Die Fragestunde nahm ihren Fortgang, wobei mir die Kenntnisse in den drei Sprachen äusserst nützlich wurden. Niemand schien etwas zu merken, und die wahre Story wurde von mir erst Jahre später gelegentlich als heitere Anekdote im kleinsten Kreis erzählt, wobei aufgrund der Reaktionen allfällig möglicher Zeugen des damaligen Geschehens wirklich niemand etwas gemerkt zu haben schien. Abends hatte ich gemäss Agenda ein weiteres weiteres Referat in der Klus BL bei Sandoz, irgendetwas mit Maturanden, mit Übernachtung dort im Lager der noch jüngeren Studiosi. Die nicht passierte Katastrophe vom Morgen war schon kein Thema mehr.
Eine Ausnahme, wo etwas mehr Zuhörer von der Fast-Katastrophe erfuhren, wenn auch erst viele Jahre später bei den 3. Deutschen Raumfahrttagen in Morgenröthe-Rautenkranz, war am 19. Juni 1999. Dies in Gegenwart mehrerer Kosmonauten und Professor Mischin, dem Leiter des russischen Mondflugprogrammes nach dem Tod von Koroljov 1966. Da auch viele weltraumbegeisterte junge Ostdeutsche im Saal sassen (es war erst ein Jahrzehnt nach der Wende!) wendete ich mich vor allem an sie, als ich die Anekdote als eine Erinnerung aus den Mondflugjahren etwas verkürzt erzählte. Das Thema über meine Begegnungen mit Mondfliegern war nämlich der Grund, weshalb man mich in den Osten eingeladen hatte. Dort herrschte weiterhin grosse Neugier über das jahrelang totgeschwiegene Apollo-Programm der NASA. Ich empfahl vor allem den jungen Zuhörern, halb im Ernst, dass sie in ihrem Leben unbedingt dafür sorgen sollten, dass ihnen auch einmal so etwas passiert! Dann nämlich hätten sie die beruhigende Gewissheit, dass ihnen überhaupt nichts mehr passieren könne…
Den Hauptzeugen der Story, Alfred Waldis, habe ich erst 30 Jahre später bei einem Rotary-Anlass in Luzern über meine Erinnerungen eingeweiht. Ich habe jedoch von ihm nie erfahren, wie lange er auf mich warten musste, aber lange konnte es aufgrund der scheinbar nie unterbrochen ruhigen, professionellen, Atmosphäre nicht gedauert haben. Er schien wirklich nie gewusst zu haben, welcher internationalen Katastrophe wir damals aus reinem Glück hatten ausweichen können. Oder doch? Er sagte nämlich gar nichts, und wir blieben gute Freunde, weil ich ihm bei solchen Anlässen noch mehrmals über die Jahre eine unbezahlbare Hilfe blieb. Es war natürlich ein grosser Vorteil dabei, dass ich die Astronauten oft nicht zum ersten Mal traf oder ihre Missionen sogar vom Start bis zur Landung vor Ort miterlebt hatte und wusste, worüber sie vermutlich gerne sprechen würden.