Wie TV-Interviews verlaufen (Ironie ca. 50%)

Verabredungen am gleichen Tag für ein TV-Interview sind in der Branche sehr beliebt, denn das Fernsehen ist kurzlebig. Die Eile garantiert für perfekte Vorbereitung des Videojournalisten und auch Ihnen ist man für die Flexibilität und spontane Aussagen dankbar. Ausserdem lässt sich ein unvorbereiteter Experte besser steuern. Er wirkt ungekämmt, unrasiert und ungeschminkt authentischer und es bleibt keine Zeit für themenferne Diskussionen, ob der meist beträchtliche Zeitaufwand unter Kategorie Frondienst und nicht gewerkschaftlichem Gesamtarbeitsvertrag abgebucht wird, denn Experten sind immer freischaffend, sonst hätten sie ja gar nie Zeit gehabt, sich aussergewöhnliche Kenntnisse anzueignen.

Als erstes muss das Haus des Experten TV-gerecht umgestellt werden, damit sich der Überfallene nicht in gewohnter Umgebung auf das Thema konzentrieren kann. Es gilt als unfein, die Fragen bei der Aufnahme so zu stellen, wie man sie Minuten zuvor verabredet hat, weil der Interviewte sonst von der gescheiten Frage nicht verunsichert wird und für einmal verblüfft in die Kamera schaut, wie ihn das Publikum noch nie erlebt hat.

Während der Interviewer früher dem Thema mit interessierter Miene gefolgt ist und somit den Zuschauer simuliert und den Befragten motiviert hat, gilt dies heute nicht mehr zeitgemäss. Als Hohe Schule für Videojournalisten gilt, bei gescheiten Antworten gequält zur Seite zu schauen und bei schwachen Passagen durch Blick in die Augen höchstes Interesse zu zeigen.

Das Opfer soll mit einer der schon auf der Zunge liegenden Zusatzfrage und gespielter Ungeduld weiter aus dem Konzept gebracht werden, so dass er fortan klärende Begründungen vermeidet, sich unlogisch kürzer formuliert und auf den Zuschauer wirkt, als ob er die gescheite Frage nicht beantwortet oder gar nicht verstanden hätte.

Beim schneiden des Materials auf die halbe Zeit, weil die Redaktion neue Prioritäten für den Tag gesetzt hat, lässt man die schlecht oder impertinent gestellten Fragen weg und beschränkt sich auf Ihre Antworten. Dies hat den doppelten Vorteil, dass sich der Interviewer für seine laienhaft gestellte Frage nicht blamieren muss und dafür der vielleicht bewusst ironisch Antwortende aus dem Zusammenhang gerissen wird und unprovoziert unhöflich wirkt.

Sofern eine Suggestivfrage zu einer unglücklich formulierten Antwort geführt hat, die zumindest bei coupierten Sätzen genau umgekehrt wie beabsichtigt tönt, aber logischerweise dem entsprechen, was der Fragesteller von Anfang an hören wollte, dann wird dieser Teil des Interviews an prominenter Stelle eingebaut und im Falle von Zeitmangel als das Einzige ausgewählt, was der Zuschauer zu sehen bekommen wird.

Vor dem Interview ist dem Opfer unbedingt zuzusichern, dass der einzige werbewirksame Hinweis auf die Tätigkeit des Frondienstlers oder eine mit zwei Worten glaubwürdige Begründung, weshalb man ihn als Experten überhaupt zugezogen hat, selbstverständlich vom Moderator in der Einführung genannt werden wird. Dieses Versprechen ist später mühelos zu brechen, indem wahlweise auf Zeitmangel oder die Usanzen des Senders verwiesen wird, die Werbung grundsätzlich verbieten.

Haben Sie bereits gemerkt, worauf Sie beim nächsten Interview achten müssen? Werden Sie jetzt verstehen, warum Leute mit Fernseherfahrung, wie z.B. der berühmte deutsche Komiker, Karikaturist, Trickfilmer und Fernsehschaffende Loriot sich geweigert haben sollen, in Sendungen aufzutreten, die nicht die eigenen waren? Oder geht Ihnen ein Licht auf, weshalb man die schlagfertigsten Politiker meistens blass, lahm oder widersprünglich wirken lässt oder warum man langweilige Drescher zeitgenössischer Schlagwörter als grosse Denker darstellt? Wie sonst wollen Sie Mittelmässigkeit garantieren und verhindern, dass die «falschen» Parteien stark werden?

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