Bote der Urschweiz / Forum Sommer 2006

«Ein gefährlicher Planetoid»
im Bote der Urschweiz / Sommer 2006

Nummer „2004MN4“ ist der unter Erdbahn-kreuzenden Planetoiden der bei weitem gefährlichste Himmelskörper. Mit einer Grösse von fast 400 Metern würde er beim Absturz auf die Erde gewaltige Zerstörungen anrichten, etwa vergleichbar mit einer 100-Megatonnen-Bombe. Nach der Entdeckung stand nur fest, dass die Berechnungen noch nicht genau genug waren, um mit Sicherheit auszuschliessen, dass er am 13. April 2029 abstürzt. Ausgerechnet um die Weihnachtstage 2004 erhöhte sich die laufend nachgerechnete Kollisionswahrscheinlichkeit täglich und erreichte am 26. Dezember 2004 mit einem Wert von 1:37 ein Maximum. Eine Panik blieb nur deshalb aus, weil auf jenen Tag das grosse Seebeben im Indischen Ozean fiel, das einen Tsunami auslöste, der Hunderttausende Opfer in wenigen Stunden forderte. Die ganze Aufmerksamkeit war daher auf das Unglück gerichtet, das sicher stattgefunden hatte, und nicht eines, das 25 Jahre in der Zukunft lag. Je nachdem, wo Planetoid 2004MN4 niedergegangen wäre, hätte er mehr oder weniger Menschen getötet, aber man kann sich das Ausmass der Katastrophe doch etwa vorstellen. Die Menschheit als Ganzes wäre dadurch nicht ausgestorben. Dazu bräuchte es einen Körper von einiges über einem Kilometer Grösse, dessen Energie bei 1.5 km Durchmesser etwa das Hundertfache und bei 3.5 km das Tausendfache von 2004MN4 betragen hätte. Zum Vergleich: Die Grösse des Planetoiden, der vor 65 Mio. Jahren im Gebiet des heutigen Golfes von Mexiko niedergegangen ist, wird auf gegen 10 km geschätzt. Die Saurier sind wahrscheinlich nicht per Zufall genau damals ausgestorben, wobei dieser Zeitpunkt schon bekannt war, bevor der Absturz entdeckt und datiert wurde. Zum Glück wurde noch über die getrübten Festtage von 2004 eine vom März datierende astronomische Sichtung nachträglich gefunden. Sie erlaubte eine wesentlich genauere Bahnbestimmung – und Entwarnung. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit würde der Brocken am 13. April 2029 nur noch 40’000 km an die Erde herankommen (rund 10% des Mondabstandes), aber harmlos vorbeiziehen. Von Europa aus böten die Abendstunden Gelegenheit, den Planetoiden während bis zu 40 Minuten recht günstig über dem Horizont als ein Sternchen mittlerer Helligkeit zu sehen. Entwarnung? Inzwischen hat man festgestellt, dass im Bereich der zu erwartenden Ablenkung ein winziger Unterbereich im „Dezimalenchaos“ liegt, der den Planetoiden in exakt 7 Jahren wieder dorthin lenkt, wo auch die Erde am 13. April 2036 steht! Das Problem besteht nun darin, dass wir erst 2029 wissen werden, ob der Planetoid tatsächlich gefährlich ist oder nicht, und dann ist es zu spät! Weil der Vervielfachungseffekt der nötigen Ablenkungsenergie im Moment der Umfliegung gleich um einen Faktor von rund 10’000 wächst, muss man unbedingt schon vor 2029 parat sein und nicht erst danach. Wenn wir also sicher sein wollen, ob er uns trifft und allenfalls, was dagegen vorzukehren wäre, dann muss die Abwehr schon weit vor 2029 anfangen, denn die Entwicklung irgendwelcher Raumsonden und deren Flugzeit erfordert sicher ein Jahrzehnt. Der Entscheid muss also z.B. schon 2019 fallen. Sind aber alle diese Massnahmen mit ihren Kosten im Bereich ganzer Raumfahrtbudgets über Jahre hinweg überhaupt nötig? Haben wir nicht mit einiger Wahrscheinlichkeit Glück, dass uns 2004MN4 zu guter Letzt doch nicht exakt trifft? Angesichts der katastrophalen Folgen wäre es verantwortungslos, sich darauf zu verlassen. Am sichersten wäre es, eine kleine Sonde direkt auf dem Himmelskörper zu landen und dessen Orbit schon ab 2018 so genau zu vermessen, dass bis 2019 absolute Gewissheit herrscht. Für NASA-Sonden ist solche Präzisionsnavigation Routine. Aber auch die Entwicklung einer solchen Sonde braucht z.B. 7 Jahre, müsste also 2011 beginnen, also in fünf Jahren. Wer sagt, die Raumfahrt sei sinnlos, möge vortreten!

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