«Übertriebene Empfindlichkeiten»
im Bote der Urschweiz vom 13.11.2003
Ja, der Fluglärm, auf den die nicht minder sensiblen Brüder am alemannischen Nordufer des Rheins genau so zunehmend reagieren! Als ich vor 40 Jahren vom Bodensee nach Zürich-Nordwest zügelte, da gab es noch die überladene Tupolew, welche nächtlich zwischen 23:30 und 00:30 ihren tiefen Bogen südlich über mein Bett zog. Schon nach wenigen Wochen hörte ich sie so wenig wie den Wecker am nächsten Morgen.
An diese Gewöhnung musste ich kürzlich wieder denken, als der neue Zeppelin ab Buochs seine Runden über die Zentralschweizer Seen zog. Ohne die stark belastende Leserbriefseite einer “Lozärner Zeitung” hätte ich das allerdings gar nicht bemerkt! Da war nämlich von ohrenbetäubendem Krach die Rede, Fortsetzung des militärischen Überfluglärms und neue Voyeur-Plage über den Sonnendächern.
Endlich, an einem ruhigen Abend, konnte ich mir ein eigenes Urteil bilden. Da schlich er sich um die Rigi und kam näher. Neugierig das Fenster auf, denn ich wollte die Nostalgie aus den 1930er-Jahren auch noch hören! Sofort wieder zu. Die Landwirtschaft, und zwar an der Sättigungsgrenze meiner Geruchsnerven, welche von einem gewissen Punkt an nicht mehr feststellen können, ob die bei der Umwandlung von einem Fünfliber in einen Franken wirkende Milchwirtschaft oder der Schweinemäster verantwortlich ist. Das Zuckerwassermotörli konnte ich leider nur wenige Sekunden ganz leise hören, trotz wenigen Hundert Metern Luftlinie. Deshalb also wollte man die Zeppelinflüge schon in der Versuchsphase abwürgen! Nicht etwa, weil sich einer die 380 Stutz für ein Billett wegen den so massiv aufgeschlagen Zigaretten nicht mehr leisten kann.
Wie selektiv die Fakten gehandhabt werden, konnte man während der jüngsten Hitzeperiode wieder einmal erleben. Heissester Juni (usw…) seit Messbeginn! Die mir in Erinnerung gebliebenen heissen Sommerrekorde von 1947 und 1952 werden relativiert mit dem Hinweis, “damals hätte man noch nicht elektronisch gemessen”. Nun, in jenen Sommern galt immerhin Rasen-Bewässerungs- und Autowaschverbot. Keine Erinnerung auch daran, dass im nur 2000 km östlich gelegenenen Moskau der kälteste und verregnetste Juni seit Menschengedenken in die Geschichte eingegangen war. Erspart blieb uns auch die Meldung, dass in Japan das Stromnetz zusammengebrochen wäre, wenn nicht ein ungewohnt kühler Juni für Rettung gesorgt hätte. Nicht einmal meine Freunde in Florida hatten es heisser als ich im Epizentrum der Empfindlichkeit.
Erstaunlich dabei, was unsere Wetterfeen schon von den Hausdächern pfeifen: Wenn das Hochdruck/Tiefdruck-Wetterrädli rechts- oder linksherum dreht, kommt die Luft eben heiss von Afrika bzw. kühl vom Nordatlantik. Kein Wunder also, bleiben die Paniker zu beiden Seiten dieses Atlantiks nie unbeschäftigt: wenn die einen im Schnee ersaufen, haben die anderen den milden Winter oder den kühlen Sommer wie 2003 in den USA. Die Satelliten-Sensoren zur gesamten Wärmebilanz von Planet Erde haben viel mehr Mühe, einen eindeutigen Trend herauszulesen als Klimatologen, welche bei den Prognosen ihrer Kollegen jeweils das Radio ausschalten.
Die Erde hat einen Thermostaten, der grösste Schwankungen seit allen Eiszeiten recht gut gedämpft hat. Der Mensch aber fürchtet sich wie im Mittelalter vor Phantomen und ignoriert gleichzeitig die echten Bedrohungen: Überbevölkerung am falschen Ort, freiwillige Schadstoffbelastung durch Tabak und legalisierte Drogen bei gleichzeitiger Ruinierung der Industrie wegen hundermal geringeren Emissionen, Verteufelung der CO2-neutralen Kernenergie und völlige Sorglosigkeit gefährlichen Kleinplaneten gegenüber, welche mehrmals in der Erdgeschichte die Spielregeln des Zeitgeistes binnen Stunden umgeworfen haben. Nicht zu vergessen die Negativselektion in allzu frommen Gottesstaaten und anderen Diktaturen, welche in Gestrigen Welten so lange verharmlost wird, bis es zu spät ist.