Der «Literaturtest» in Berlin hat mir ein Buch vom Hirzel-Verlag in Stuttgart geschickt, das ich mit Genuss gelesen habe!

Darin ging es um ein viel mehr als nur ein verkanntes Genie in noch katastrophaleren Zeiten Deutschlands als heute, aber ganz sicher eine tragische Figur, die wegen den Kriegswirren im 18. Jahrhundert den ganz grossen Erfolg ihrer Entdeckungen und Erfindungen nicht mehr voll auskosten konnte. Herausragende Gestalten wie Gauss und Euler retteten damals nicht nur die intellektuelle Ehre der Menschheit bis heute, was mir als Mathematiker wegen deren Wirkung bis in die aktuellste Mathematik v.a. der Differentialgleichungen für Simulationen bekannt war und sofort die Aufmerksamkeit erregte. Ein Buch also, in dem man noch mehr über jene grossen Gestalten und ihre Zeit nicht nur in den Lehrbüchern erfahren konnte. Eine der nicht unbedingt erwarteten Überraschungen war, dass selbst in jenem vermeintlich ruhigen Jahrhundert jedes Projekt mehr oder weniger durch Kriege verhindert oder zumindest verzögert wurde. Es ist ein Verdienst des Autors Thomas Knubben, diesen Aspekt immer wieder von Neuem im passenden Zusammenhang herausgearbeitet zu haben! Die Figur des Autodidakten Tobias Mayer nimmt dadurch eine noch viel tragischere Form an. Diese Erkenntnis gilt aber auch für viele Genies seither: Thomas Alva Edison, Nicolas Tesla, Steve Jobs und Elon Musk, um nur einige zu nennen. Sie alle hatten oft unverschuldet (oder dann aus begründetem Desinteresse…) mangelnde Schulbildung, aber eine umso unbändigere Neugier beim Forschen und Entdecken. Diese fehlte offenbar den grossen Denkern der Zeit in den akademischen Elfenbeintürmen, denn die nützlichsten Erfindungen stammten und stammen seit jeher von Aussenseitern ohne jeden intellektuellen Dünkel.

Die Beschreibung der Faszination Mayers durch den Autor wirkt sehr modern. Dies zeigt sich besonders bei den Einblicken in die Gründungszeit vieler heutiger Universitäten in Kapitel 11, als bereits auch die organisatorischen Ineffizienzen festgelegt wurden, welche heute vor allem den europäischen Lehr- und Forschungsbetrieb hemmen. Dabei würde man doch meinen, dies sei ein Relikt aus dem 18. und nicht dem 21. Jh. mit seinem weltumspannenden Internet und seinen akademischen Fesseln bei Länder-übergreifender Forschungstätigkeit. Offenbar verstand es die Intelligenzia damals mindestens so gut wie heute, sich vor Bürokratien zu hüten und ein produktives Mass an akademischen Freiheiten (Kapitel 12) zu bewahren. Knubben beschrieb auch die ewigen Konflikte bei der Karriereplanung in Kapitel 14 ganz erfrischend…

Eine willkommene Entdeckung war auch das Kapitel 10 über die Vermessung des Meeres, also die Bestimmung von geografischer Länge und Breite, denn diese erforderten offensichtlich so viele diskriminierende Kenntnisse aus Astronomie und Mathematik, dass die meisten Autoren seit jeher die Finger davon liessen. So nahe wie Knubben scheint mir noch niemand gekommen zu sein, die für die Seeleute der damligen Zeit erst recht anspruchsvolle Navigation auf den Meeren einem heutigen Durchnittsleser zu erklären, der gerade noch die Abkürzung «GPS» ausbuchstabieren kann…

Gratulation auch für das letzte Kapitel «Die Teile und das Ganze». Wer wagt es schon, den grossen Bogen von allen geistigen Invarianten der früheren Jahrhunderte bis in die Gegenwart zu spannen? Gleichzeitig schafft er es, den Leser selber über diese Zusammenhänge nachdenken zu lassen. Ich hoffe nur, dass alle darin so viel «Unterhaltung ist Lustgewinn durch Verstehen» finden wie mir das gegönnt war!

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