Nummer „2004MN4“ ist der unter Erdbahn-kreuzenden Planetoiden der bei weitem gefährlichste Himmelskörper. Mit einer Grösse von fast 400 Metern würde er beim Absturz auf die Erde gewaltige Zerstörungen anrichten, etwa vergleichbar mit einer 100-Megatonnen-Bombe. Nach der Entdeckung stand nur fest, dass die Berechnungen noch nicht genau genug waren, um mit Sicherheit auszuschliessen, dass er am 13. April 2029 abstürzt. Ausgerechnet um die Weihnachtstage 2004 erhöhte sich die laufend nachgerechnete Kollisionswahrscheinlichkeit täglich und erreichte am 26. Dezember 2004 mit einem Wert von 1:37 ein Maximum. Eine Panik blieb nur deshalb aus, weil auf jenen Tag das grosse Seebeben im Indischen Ozean fiel, das einen Tsunami auslöste, der Hunderttausende Opfer in wenigen Stunden forderte. Die ganze Aufmerksamkeit war daher auf das Unglück gerichtet, das sicher stattgefunden hatte, und nicht eines, das 25 Jahre in der Zukunft lag.
Je nachdem, wo Planetoid 2004MN4 niedergegangen wäre, hätte er mehr oder weniger Menschen getötet, aber man kann sich das Ausmass der Katastrophe doch etwa vorstellen. Die Menschheit als Ganzes wäre dadurch nicht ausgestorben. Dazu bräuchte es einen Körper von einiges über einem Kilometer Grösse, dessen Energie bei 1.5 km Durchmesser etwa das Hundertfache und bei 3.5 km das Tausendfache von 2004MN4 betragen hätte. Zum Vergleich: Die Grösse des Planetoiden, der vor 65 Mio. Jahren im Gebiet des heutigen Golfes von Mexiko niedergegangen ist, wird auf gegen 10 km geschätzt. Die Saurier sind wahrscheinlich nicht per Zufall genau damals ausgestorben, wobei dieser Zeitpunkt schon bekannt war, bevor der Absturz entdeckt und datiert wurde.
Zum Glück wurde noch über die getrübten Festtage von 2004 eine vom März datierende astronomische Sichtung nachträglich gefunden. Sie erlaubte eine wesentlich genauere Bahnbestimmung – und Entwarnung. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit würde der Brocken am 13. April 2029 nur noch 40'000 km an die Erde herankommen (rund 10% des Mondabstandes), aber harmlos vorbeiziehen. Von Europa aus böten die Abendstunden Gelegenheit, den Planetoiden während bis zu 40 Minuten recht günstig über dem Horizont als ein Sternchen mittlerer Helligkeit zu sehen.
Entwarnung? Inzwischen hat man festgestellt, dass im Bereich der zu erwartenden Ablenkung ein winziger Unterbereich im „Dezimalenchaos“ liegt, der den Planetoiden in exakt 7 Jahren wieder dorthin lenkt, wo auch die Erde am 13. April 2036 steht! Das Problem besteht nun darin, dass wir erst 2029 wissen werden, ob der Planetoid tatsächlich gefährlich ist oder nicht, und dann ist es zu spät! Weil der Vervielfachungseffekt der nötigen Ablenkungsenergie im Moment der Umfliegung gleich um einen Faktor von rund 10'000 wächst, muss man unbedingt schon vor 2029 parat sein und nicht erst danach.
Wenn wir also sicher sein wollen, ob er uns trifft und allenfalls, was dagegen vorzukehren wäre, dann muss die Abwehr schon weit vor 2029 anfangen, denn die Entwicklung irgendwelcher Raumsonden und deren Flugzeit erfordert sicher ein Jahrzehnt. Der Entscheid muss also z.B. schon 2019 fallen. Sind aber alle diese Massnahmen mit ihren Kosten im Bereich ganzer Raumfahrtbudgets über Jahre hinweg überhaupt nötig? Haben wir nicht mit einiger Wahrscheinlichkeit Glück, dass uns 2004MN4 zu guter Letzt doch nicht exakt trifft? Angesichts der katastrophalen Folgen wäre es verantwortungslos, sich darauf zu verlassen.
Am sichersten wäre es, eine kleine Sonde direkt auf dem Himmelskörper zu landen und dessen Orbit schon ab 2018 so genau zu vermessen, dass bis 2019 absolute Gewissheit herrscht. Für NASA-Sonden ist solche Präzisionsnavigation Routine. Aber auch die Entwicklung einer solchen Sonde braucht z.B. 7 Jahre, müsste also 2011 beginnen, also in fünf Jahren. Wer sagt, die Raumfahrt sei sinnlos, möge vortreten!
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Kürzlich staunte ich wieder einmal, wie eine einzige Radiosendung einen Bestseller bewirken kann, nur weil man darin auf ein paar pikante Themen aus einem Buch zu sprechen kam. In der Publikation ging es um die Karikierung von salonfähigen bis äusserst beliebten Irrtümern. An sich ein peinliches Thema, über das die Leute sonst lieber Stillschweigen bewahren. Eine ganze Sammlung von verkehrten Vorstellungen kam hier zur Sprache, die kraft irgendeines wichtigen Amtes nicht mehr als solche erkannt werden oder werden sollen. Wer über Jahre Material zu einem solchen Buch zusammengetragen hat, kann nach Fertigstellung des Werkes nicht einfach aufhören mit der Arbeit. Er entdeckt vielmehr fast täglich neue Beispiele, die eigentlich schon in die erste Auflage gehört hätten! Der Autor kann also von Glück reden, wenn der Bestseller schon eine Neuauflage erzwingt, bevor diese unmöglich umfangreich geworden ist! Ein ganz neu beigefügtes Beispiel hatte nun mit der Schweiz zu tun, und ich möchte es mit den Bote-Lesern teilen. So unmittelbar nach dem Jahreswechsel hatten wir ja alle sehr viel Post zu verschicken und haben uns dabei so unsere Gedanken gemacht. Zum Beispiel folgende:
Die Postleitzahlen hatten ursprünglich den Zweck, erstens die Steuerung der Postströme bei der Verladung an den korrekten Bahnhöfen zu vereinfachen und zweitens die in früheren Jahrhunderten verbrochenen Ortschaften gleichen Namens eindeutig unterscheiden zu können. Man hätte ja einen Irrtum verhindert, wenn daraus gelernt worden wäre! Statt nun wirklich jeder Ortschaft (oder Poststelle in grösseren Städten) ein für allemal eine eindeutige Nummer zuzuordnen, gab es nun erneut mehrere Poststellen mit gleicher Nummer, welche als Text im Alphabet sogar weit auseinander liegen und somit zu den groteskesten Problemen führen können! Dies sogar in der kleinen Schweiz, wo man entweder (aus Spargründen?) auf fünfstellige Postleitzahlen verzichtet oder dann die theoretisch 9999 vierstelligen nicht voll ausgenützt hat. Der Gelbe Riese darf wählen, was hier zutrifft. Nach Jahren wurden sogar ganze Ortschaften umnummeriert: z.B. wurde eines Tages aus 5262 Frick von einem Tag auf den anderen 5070 Frick! Ende 2006 fand der Internet-Suchdienst Google neben gut 100’000mal "5070 Frick" immer noch über 100 Dokumente, wo es weiterhin hoch aktuell datiert "5262 Frick" hiess, weil zwei Jahrzehnte immer noch nicht zur restlosen Tilgung der alten Einträge ausgereicht hatten! Statt in der Post-Software des Landes, nach eingetretenem Unheil, eine auch in Zukunft flexible indirekte Nummerierung einzuführen, zwang man Hunderttausende von Bürgern zum Neudruck ihrer Visitenkarten und Geschäftsdokumente! Soviel Irrtum brauchte eine florierende Wirtschaft.
Ob sich wohl andere Länder auch so viel staatlich verordneten Schwachsinn leisten konnten? Kaum. Nur in der Schweiz staunten sogar die Zürcher Telefonabonnenten eines Tages, dass auch bei ihnen die Druckereien wiederholt zu tun bekamen. Nach der Umstellung auf siebenstellige Nummern folgte erst mal der Wechsel auf die Vorwahl 01 (noch früher 051!). Wie oft in der grössten Stadt eines Landes ist 01 recht sinnvoll. Dann wurde wenige Jahre später die staatliche Allmacht mit „044“ (früher die Vorwahl im recht ähnlichen Kanton Uri) trotz massivem Protest nachgedoppelt. Gravierende Änderungen zum dritten Mal, während die Telefonnummer z.B. von Freunden in den USA unserer Lebtag lang gleich blieb – oder dann zumindest die reine Rufnummer. Warum also auch einfach, wenn es kompliziert geht?!
Solche Kontraproduktivitäten sind natürlich nicht gratis, weshalb unsere Post auch nicht billig ist. Der Postbenützer ist sich solcher Fehlentscheide ebenso bewusst wie Tausende von Angestellten an der Front, welche oft selber darunter leiden. Die Gralshüter des Irrtums sitzen aber offenbar viele Stockwerke höher, nicht in z.B. Goldau, wo ich mir wünschte, die Postdienste würden bis ans Lebensende gleich gut bleiben – nur nicht teurer.
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Kürzlich besuchte ich im IMAX Luzern den wunderschönen Film über die Pinguine und See-Elefanten in ihrer fernen und fremden Welt Südgeorgien vor dem Antarktischen Kontinent. Diesen würde ich allen Lesern empfehlen, wie die allermeisten IMAX-Erlebnisse, aber das ist ein anderes Thema. Abgesehen von vielen bisher unbekannten geografischen Erkenntnissen wurde einem wieder einmal bewusst, wie tüchtig unsere fernen genetischen Verwandten offenbar sein müssen, um in jenem Klima zu überleben. Seit Jahrmillionen tun dies nur die Fittesten. Weil es dort nur noch solche gibt, herrscht praktisch völlige Gleichheit, was man bei der Krone der Schöpfung, dem Menschen, rund um den Globus mühsam herbeireden muss. Wunderbar nun, in voller IMAX-Qualität am Beispiel der Natur und ihrer kompromisslosen Spielregeln zu beobachten, wie irdisches Leben seit Jahrmillionen die verrücktesten Klimaschwankungen und Kontinentalverschiebungen überlebt hat.
Selbst die intellektuelleren und kaufkräftigeren Schweizer Touristen reisen erst selten an den Südpol oder nach Südgeorgien, aber neuerdings auch schon nach Galapagos, den eigenartigen "Naturzoo-Inseln" vor der ecuadorianischen Pazifikküste. Ihre Reiseberichte würden einem oft zwingen, alles jahrzehntelang gesammelte Wissen über die Evolution über Bord zu werfen, wenn man sich nicht etwas Zeit zum Nachdenken nähme. Da ist die Rede vom vorbildlichen Kräftespiel der Natur, von unberührter Ökosphäre und erfolgreicher Verhinderung von menschlichen Einflüssen. Da gäbe es Tierarten, die es sonst nirgends mehr gäbe! Wirklich? Nun, die genau gleichen natürlich nicht, aber mehr oder weniger verwandte, denn selbst auf den Galapagos-Inseln entstehen Tierarten nicht einfach so aus nichts, obwohl diese verkehrte Vorstellung für einen Kreationisten mit affenartiger Behendigkeit gemeistert würde.
Bei genauerer Betrachtung erkennt man die eigenartig byzantinischen Kreaturen durchaus wieder, die sich im Sonderfall Galapagos aus einst tüchtigeren Schwimmern, Läufern unf Fliegern entwickelt haben. Mangels Feinden auf dem abgetrennten Festland bzw. neuen vulkanischen Böden im Meer sind sie komischerweise nicht tüchtiger geworden, sondern haben es sich auch ohne staatliche Unterstützung während ein paar Jahrmillionen gut gehen lassen. Sie haben viele Fähigkeiten verloren, die so lange überlebenswichtig waren, bis sie sich über Zeiträume gebildet hatten, gegenüber welchen die dekadente Geschichte von Galapagos nur ein Augenblick ist.
Damit erkennbar wird, was man daraus lernen kann, berichte ich ganz kurz von einer herrlichen Reklame in einer Luftfahrtzeitschrift, in welcher karikiert wurde, was mit einer Flugzeugfirma passiert, welche sich nicht mehr vorwärts entwickelt. Blickfang war einer dieser Riesenvögel aus Galapagos mit seinen viel zu langen Beinen, die eben wichtig werden, sobald man nicht mehr fliegen kann. Da steht er nun, der unglückliche Leistungsverweigerer, mit viel zu kurzen Flügeln und einem unbeschreiblich erbärmlichen Gesichtsausdruck, der - natur pur - zum Ausdruck bringt, dass das Opfer der Negativselektion genau zu wissen scheint, worüber sich seine Umwelt mokiert. Die Werbewirkung eines Inserates von dieser Qualitätsklasse wird Jahrmillionen überdauern. Welche natürliche Botschaft dahinter steht, muss man allerdings zu sehen belieben.
So, wie es Mode geworden ist, für jedes unangenehme Faktum den entschärfenden Irrtum bereitzustellen, werden uns in immer kürzeren Abständen vorgefertigte Meinungen zur Evolution von Mensch und Tier serviert und, wenn nötig, in Form von Paniken verbreitet. Die Politik ist jeweils für den soliden Unterbau der Konstrukte besorgt und delegiert die saubere Entsorgung von allerlei mittelalterlichem Schwachsinn bei unvorhergesehenen Widersprüchen an die Medien. Geniessen Sie das Theater als Zuschauer, nur nicht als Mitspieler! Die Stücke folgen sich bald in immer kürzeren Abständen, um alle Interpreten zu beschäftigen.
«Verschieden lange Ellen»im Bote der Urschweiz Winter 2008
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